te ich mir aus als alter Freund: Mich mØssen Sie
einweihen, wenn's einmal so weit ist. - Oder gedenken Sie Øberhaupt ledig zu
bleiben?"
"Nein! nein! nein!" - sie wehrte so entschlossen ab, dañ ich
unwillkØrlich lÄchelte - "einmal muñ ich ja doch heiraten."
"NatØrlich! SelbstverstÄndlich!"
Sie wurde nervÃs wie ein Backfisch.
"KÃnnen Sie denn nicht eine Minute ernsthaft bleiben, Herr Pernath?" -
Ich machte gehorsam ein Lehrergesicht, und sie setzte sich wieder. - "Also:
wenn ich sage, ich muñ doch einmal heiraten, so meine ich damit, dañ ich mir
zwar bis jetzt den KopfØber die nÄheren UmstÄnde nicht zerbrochen habe, den
Sinn des Lebens aber gewiñ nicht verstØnde, wenn ich annehmen wØrde, ich sei
als Weib auf die Welt gekommen, um kinderlos zu bleiben."
Das erste Mal, seit ich sie kannte, sah ich das Frauenhafte in ihren
ZØgen.
"Es gehÃrt mit zu meinen TrÄumen", fuhr sie leise fort, "mir
vorzustellen, dañ es ein Endziel sei, wenn zwei Wesen zu einem verschmelzen,
- zu dem, was - - haben Sie nie von dem Ägyptischen Osiriskult gehÃrt? - zu
dem verschmelzen, was der ›Hermaphrodit‹ als Symbol bedeuten mag."
Ich horchte gespannt auf: "Der Hermaphrodit -?"
"Ich meine: Die magische Vereinigung von mÄnnlich und weiblich im
Menschengeschlecht zu einem Halbgott. Als Endziel! - Nein, nicht als
Endziel, als Beginn eines neuen Weges, der ewig ist - kein Ende hat."
"Und hoffen Sie, dereinst denjenigen zu finden," fragte ich
erschØttert, "den Sie suchen? - Kann es nicht sein, dañ er in einem fernen
Land lebt, vielleicht gar nicht auf Erden ist?"
"Davon weiñ ich nichts"; sagte sie einfach, "ich kann nur warten. Wenn
er durch Zeit und Raum von mir getrennt ist, - was ich nicht glaube, weshalb
wÄre ich dann hier im Getto angebunden? - oder durch die KlØfte
gegenseitigen Nichterkennens - und ich finde ihn nicht, dann hat mein Leben
keinen Zweck gehabt und war das gedankenlose Spiel eines idiotischen DÄmons.
- Aber, bitte, bitte, reden wir nicht mehr davon," flehte sie, "wenn man den
Gedanken nur ausspricht, bekommt er schon einen hÄñlichen, irdischen
Beigeschmack, und ich mÃchte nicht -"
Sie brach plÃtzlich ab.
"Was mÃchten Sie nicht, Mirjam?"
Sie hob die Hand. Stand rasch auf und sagte:
"Sie bekommen Besuch, Herr Pernath!"
Seidenkleider raschelten auf dem Gang.
UngestØmes Klopfen. Dann:
Angelina!
Mirjam wollte gehen; ich hielt sie zurØck:
"Darf ich vorstellen: die Tochter eines lieben Freundes - Frau GrÄfin
-"
"Nicht einmal vorfahren kann man mehr. øberall das Pflaster
aufgerissen. Wann werden Sie einmal in eine menschenwØrdige Gegend siedeln,
Meister Pernath? Drauñen schmilzt der Schnee und der Himmel jubelt, dañ es
einem die Brust zersprengt, und Sie hocken hier in Ihrer Tropfsteingrotte
wie ein alter Frosch, - - Øbrigens wissen Sie, dañ ich gestern bei meinem
Juwelier war und er gesagt hat: Sie seien der grÃñte KØnstler, der feinste
Gemmenschneider, den es heute gibt, wenn nicht einer der grÃñten, die je
gelebt haben?!" - Angelina plauderte wie ein Wasserfall, und ich war
verzaubert. Sah nur mehr ihre strahlenden, blauen Augen, die kleinen FØñe in
den winzigen Lackstiefeln, sah das kapriziÃse Gesicht aus dem Wust von
Pelzwerk leuchten und die rosigen OhrlÄppchen.
Sie lieñ sich kaum Zeit auszuatmen.
"An der Ecke steht mein Wagen. Ich hatte schon Angst, Sie nicht zu
Hause zu treffen. Sie haben doch hoffentlich noch nicht zu Mittag gegessen?
Wir fahren zuerst - ja, wohin fahren wir zuerst? Wir fahren zuerst einmal -
warten Sie - - ja: vielleicht in den Baumgarten, oder kurz: irgendwohin ins
Freie, wo man so recht das Keimen und heimliche Sprossen in der Luft ahnt.
Kommen Sie, kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut; und dann essen Sie bei mir, -
und dann schwÄtzen wir bis abends. Nehmen Sie doch Ihren Hut! Worauf warten
Sie denn? - Eine warme, ganz weiche Decke ist unten: da wickeln wir uns ein
bis an die Ohren und kuscheln uns zusammen, bis uns siedheiñ wird."
Was sollte ich nur sagen?! "Soeben habe ich mit der Tochter meines
Freundes eine Spazierfahrt verabredet - -"
Mirjam hatte sich bereits hastig von Angelina verabschiedet, noch ehe
ich aussprechen konnte.
Ich begleitete sie bis vor die TØr, obschon sie mich freundlich
abwehren wollte.
"HÃren Sie mich an, Mirjam, ich kann es Ihnen hier auf der Treppe nicht
so sagen, wie ich an Ihnen hÄnge - - und dañ ich tausendmal lieber mit Ihnen
- -"
"Sie dØrfen die Dame nicht warten lassen, Herr Pernath," drÄngte sie,
"adieu und viel VergnØgen!"
Sie sagte es voll Herzlichkeit und unverstellt und echt, aber ich sah,
dañ der Glanz in ihren Augen erloschen war.
Sie eilte die Treppe hinunter, und das Leid schnØrte mir die Kehle
zusammen.
Mir war, als hÄtte ich eine Welt verloren.
Wie im Rausch sañ ich an Angelinas Seite. Wir fuhren in rasendem Trab
durch die menschenØberfØllten Strañen.
Eine Brandung des Lebens rings um mich, dañ ich, halb betÄubt, nur noch
die kleinen Lichtflecke in dem Bilde, das an mir vorØberhuschte,
unterscheiden konnte: blitzende Juwelen in Ohrringen und Muffketten, blanke
ZylinderhØte, weiñe Damenhandschuhe, einen Pudel mit rosa Halsschleife, der
klÄffend in die RÄder beiñen wollte, schÄumende Rappen, die uns
entgegensausten in silbernen Geschirren, ein Ladenfenster, drin schimmernde
Schalen voll PerlschnØren und funkelnden Geschmeiden, - Seidenglanz um
schlanke MÄdchenhØften.
Der scharfe Wind, der uns ins Gesicht schnitt, lieñ mich die WÄrme von
Angelinas KÃrper doppelt sinnverwirrend empfinden.
Die Schutzleute an den Kreuzungen sprangen respektvoll zur Seite, wenn
wir an ihnen vorØberjagten.
Dann ging's im Schritt Øber das Quai, das eine einzige Wagenreihe war,
an der eingestØrzten steinernen BrØcke vorbei, umstaut vom GewØhl gaffender
Gesichter.
Ich blickte kaum hin: - das kleinste Wort aus dem Munde Angelinas, ihre
Wimpern, das eilige Spiel ihrer Lippen, - alles, alles war mir unendlich
viel wichtiger, als zuzusehen, wie die FelstrØmmer dort unten den
antaumelnden Eisschollen die Schultern entgegenstemmten. -
Parkwege. Dann - gestampfte, elastische Erde. Dann Laubrascheln unter
den Hufen der Pferde, nasse Luft, blÄtterlose Baumriesen voll von
KrÄhennestern, totes WiesengrØn mit weiñlichen Inseln schwindenden Schnees,
alles zog an mir vorbei wie getrÄumt.
Nur mit ein paar kurzen Worten, fast gleichgØltig, kam Angelina auf Dr.
Savioli zu sprechen.
"Jetzt, wo die Gefahr vorØber ist", sagte sie mit entzØckender,
kindlicher Unbefangenheit, "und ich weiñ, dañ es ihm auch wieder besser
geht, kommt mir alles das, was ich mitgemacht habe, so grÄñlich langweilig
vor. - Ich will mich endlich einmal wieder freuen, die Augen zumachen und
untertauchen in dem glitzernden Schaum des Lebens. Ich glaube, alle Frauen
sind so. Sie gestehen es bloñ nicht ein. Oder sie sind so dumm, dañ sie es
selbst nicht wissen. Meinen Sie nicht auch?" Sie hÃrte gar nicht hin, was
ich darauf antwortete. "øbrigens sind mir die Frauen vollstÄndig
uninteressant. Sie dØrfen es natØrlich nicht als Schmeichelei auffassen:
aber - wahrhaftig, die bloñe NÄhe eines sympathischen Mannes ist mir im
kleinen Finger lieber als das anregendste GesprÄch mit einer noch so
gescheiten Frau. Es ist ja schlieñlich doch alles dummes Zeug, was man da
zusammenschwÄtzt. - HÃchstens: das biñchen Putz - na und! Die Moden wechseln
ja nicht gar so hÄufig. - - Nicht wahr, ich bin leichtsinnig?", fragte sie
plÃtzlich kokett, dañ ich mich, bestrickt von ihrem Reiz, zusammennehmen
muñte, nicht ihr KÃpfchen zwischen meine HÄnde zu nehmen und sie in den
Nacken zu kØssen, - "sagen Sie, dañ ich leichtsinnig bin!"
Sie schmiegte sich noch dichter an und hÄngte sich in mich ein.
Wir fuhren aus der Allee heraus an Bosketts entlang mit
strohumwickelten Zierstauden, die aussahen in ihren HØllen wie RØmpfe von
Ungeheuern mit abgehauenen Gliedern und HÄuptern.
Leute sañen auf BÄnken in der Sonne und blickten hinter uns drein und
steckten die KÃpfe zusammen.
Wir schwiegen eine Weile und hingen unseren Gedanken nach. Wie war
Angelina doch so vollstÄndig anders, als sie bisher in meiner Einbildung
gelebt hatte! - Als sei sie erst heute fØr mich in die Gegenwart gerØckt!
War das wirklich dieselbe Frau, die ich damals in der Domkirche
getrÃstet hatte?
Ich konnte den Blick nicht wenden von ihrem halboffenen Mund.
Sie sprach noch immer kein Wort. Schien im Geiste ein Bild zu sehen.
Der Wagen bog Øber eine feuchte Wiese.
Es roch nach erwachender Erde.
"Wissen Sie, - - Frau - -?"
"Nennen Sie mich doch Angelina", unterbrach sie mich leise.
"Wissen Sie, Angelina, dañ - dañ ich heute die ganze Nacht von Ihnen
getrÄumt habe?", stieñ ich gepreñt hervor.
Sie machte eine kleine rasche Bewegung, als wolle sie ihren Arm aus
meinem ziehen, und sah mich groñ an. "MerkwØrdig! Und ich von Ihnen! - Und
in diesem Moment habe ich dasselbe gedacht."
Wieder stockte das GesprÄch, und beide errieten wir, dañ wir auch
dasselbe getrÄumt hatten.
Ich fØhlte es an dem Beben ihres Blutes. Ihr Arm zitterte kaum merklich
an meiner Brust. Sie blickte krampfhaft von mir weg aus dem Wagen hinaus. -
- -
Langsam zog ich ihre Hand an meine Lippen, streifte den weiñen,
duftenden Handschuh zurØck, hÃrte, wie ihr Atem heftig wurde, und preñte
toll vor Liebe meine ZÄhne in ihren Handballen.
- - Stunden spÄter ging ich wie ein Trunkener durch den Abendnebel
hinab der Stadt zu. Planlos wÄhlte ich die Strañen und ging lange, ohne es
zu wissen, im Kreise herum.
Dann stand ich am Fluñ Øber eisernes GelÄnder gebeugt und starrte hinab
in die tosenden Wellen.
Noch immer fØhlte ich Angelinas Arme um meinen Nacken, sah das
steinerne Becken des Springbrunnens, an dem wir schon einmal Abschied
voneinander genommen vor vielen Jahren, vor mir, mit den faulenden
UlmenblÄttern darin, und sie wanderte wieder mit mir, wie soeben erst vor
kurzem, den Kopf an meine Schulter gelehnt, stumm durch den frÃsteldnen,
dÄmmrigen Park ihres Schlosses.
Ich setzte mich auf eine Bank und zog den Hut tief ins Gesicht, um zu
trÄumen.
Die Wasser brausten Øber das Wehr und ihr Rauschen verschlang die
letzten, aufmurrenden GerÄusche der schlafengehenden Stadt.
Wenn ich von Zeit zu Zeit meinen Mantel fester um mich zog und
aufblickte, lag der Fluñ in immer tieferen Schatten, bis er endlich, von der
schweren Nacht erdrØckt, schwarzgrau dahinstrÃmte und der Gischt des
Staudamms als weiñer, blendender Streifen schrÄg hinØber zum andern Ufer
lief.
Mich schauderte bei dem Gedanken, wieder zurØck zu mØssen in mein
trauriges Haus.
Der Glanz eines kurzen Nachmittags hatte mich fØr immer zum Fremdling
in meiner WohnstÄtte gemacht.
Eine Spanne von wenigen Wochen, vielleicht nur von Tagen, dann muñte
das GlØck vorØber sein - und nichts blieb davon als eine wehe, schÃne
Erinnerung.
Und dann?
Dann war ich heimatlos hier und drØben, diesseits und jenseits des
Flusses.
Ich stand auf! Wollte noch durch das Parkgitter einen Blick auf das
Schloñ werfen, hinter dessen Fenstern sie schlief, ehe ich in das finstere
Getto ging. - - - Ich schlug die Richtung ein, aus der ich gekommen war,
tappte mich durch den dichten Nebel an HÄuserreihen entlang und Øber
schlummernde PlÄtze, sah schwarze Monumente drohend auftauchen und einsame
SchilderhÄuser und die SchnÃrkel von Barockfassaden. Der matte Schimmer
einer Laterne wuchs zu riesigen, phantastischen Ringen in verblichenen
Regenbogenfarben aus dem Dunst heraus, wurde zum fahlgelben, stechenden Auge
und zerging hinter mir in der Luft.
Mein Fuñ tastete breite, steinerne StufenflÄchen, mit Kies bestreut. Wo
war ich? Ein Hohlweg, der steil aufwÄrts fØhrt?
Glatte Gartenmauern links und rechts? Die kahlen äste eines Baumes
hÄngen herØber. Sie kommen vom Himmel herunter: der Stamm verbirgt sich
hinter der Nebelwand. -
Ein paar morsche, dØnne Zweige brechen krachend ab, wie mein Hut sie
streift, und fallen an meinem Mantel hinab in den nebligen grauen Abgrund,
der mir meine FØñe verbirgt.
Dann ein strahlender Punkt: ein einsames Licht in der Ferne - irgendwo
- rÄtselhaft - zwischen Himmel und Erde. - - -
Ich muñte fehlgegangen sein. Es konnte nur die "alte Schloñstiege" sein
neben den HÄngen der FØrstenbergschen GÄrten - - -
Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
Ein massiger Schatten ragt hoch auf, den Kopf in einer schwarzen,
steifen ZipfelmØtze: "die Daliborka" = der Hungerturm, in dem Menschen einst
verschmachteten, derweilen KÃnige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
Ein schmales, gewundenes GÄñchen mit Schieñscharten, ein Schneckengang,
kaum breit genug, die Schultern durchzulassen - und ich stand vor einer
Reihe von HÄuschen, keines hÃher als ich.
Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die DÄcher greifen.
Ich war in die "Goldmachergasse" geraten, wo im Mittelalter die
alchimistischen Adepten den Stein der Weisen geglØht und die Mondstrahlen
vergiftet haben.
Es rØhrte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.
Aber ich fand die MauerlØcke nicht mehr, die mich eingelassen, - stieñ
an ein Holzgatter.
Es nØtzt nichts, ich muñ jemand wecken, damit man mir den Weg zeigt,
sagte ich mir. Sonderbar, dañ hier ein Haus die Gasse abschlieñt - grÃñer
als die andern und anscheinend wohnlich? Ich kann mich nicht entsinnen, es
je bemerkt zu haben.
Es muñ wohl weiñ getØncht sein, dañ es so hell aus dem Nebel leuchtet?
Ich gehe durch das Gatter Øber den schmalen Gartenstreif, drØcke das
Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich klopfe ans Fenster. - Da geht
drinnen ein steinalter Mann, eine brennende Kerze in der Hand, durch eine
TØr mit greisenhaft wankenden Schritten bis mitten in die Stube, bleibt
stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten
und Kolben an der Wand, starrt nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in
den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
Der Schatten seiner Backenknochen fÄllt ihm auf die AugenhÃhlen, dañ es
aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
Er sieht mich offenbar nicht.
Ich klopfe ans Glas.
Er hÃrt mich nicht. Geht lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem
Zimmer.
Ich warte vergebens.
Klopfe ans Haustor: niemand Ãffnet. - - -
Es blieb mir nichts Øbrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang
aus der Gasse endlich fand.
Ob es nicht am besten wÄre, ich ginge noch unter Menschen, Øberlegte
ich. - Zu meinen Freunden: Zwakh, Prokop und Vrieslander ins "alte Ungelt",
wo sie bestimmt sein wØrden -, um meine verzehrende Sehnsucht nach Angelinas
KØssen wenigstens fØr ein paar Stunden zu ØbertÄuben? Rasch mache ich mich
auf den Weg.
Wie ein Trifolium von Toten hockten sie um den wurmstichigen, alten
Tisch herum, - alle drei: weiñe dØnnstielige Tonpfeifen zwischen den ZÄhnen,
und das Zimmer voll Rauch.
Man konnte kaum ihre GesichtszØge unterscheiden, so schluckten die
dunkelbraunen WÄnde das spÄrliche Licht der altmodischen HÄngelampe ein.
In der Ecke die spindeldØrre, wortkarge, verwitterte Kellnerin mit
ihrem ewigen Strickstrumpf, dem farblosen Blick und der gelben
Entenschnabelnase!
Mattrote Decken hingen vor den geschlossenen TØren, so dañ die Stimmen
der GÄste im Nebenzimmer nur wie das leise Summen eines Bienenschwarms
herØberdrangen.
Vrieslander, seinen kegelfÃrmigen Hut mit der geraden Krempe auf dem
Kopf, mit seinem Knebelbart, der bleigrauen Gesichtsfarbe und der Narbe
unter dem Auge, sah aus wie ein ertrunkener HollÄnder aus einem vergessenen
Jahrhundert.
Josua Prokop hatte sich eine Gabel quer durch die Musikerlocken
gesteckt, klapperte unaufhÃrlich mit seinen gespenstisch langen
Knochenfingern und sah bewundernd zu, wie sich Zwakh abmØhte, der bauchigen
Arakflasche das PurpurmÄntelchen einer Marionette umzuhÄngen.
"Das wird Babinski", erklÄrte mir Vrieslander mit tiefem Ernst. "Sie
wissen nicht, wer Babinski war? Zwakh, erzÄhlen Sie Pernath rasch, wer
Babinski war!"
"Babinski war", begann Zwakh sofort, ohne auch nur eine Sekunde von
seiner Arbeit aufzusehen, "einst ein berØhmter RaubmÃrder in Prag. - Viele
Jahre betrieb er sein schÄndliches Handwerk, ohne dañ es jemand bemerkt
hÄtte. Nach und nach jedoch fiel es in den besseren Familien auf, dañ bald
dieses, bald jenes Mitglied der Sippe beim Essen fehlte und sich nie wieder
blicken lieñ. Wenn man auch anfangs nichts sagte, da die Sache gewissermañen
ihre guten Seiten hatte, indem man weniger zu kochen brauchte, so durfte
wiederum nicht auñer acht gelassen werden, dañ das Ansehen in der
Gesellschaft leicht darunter leiden und man ins Gerede kommen konnte.
Besonders, wenn es sich um das spurlose Verschwinden mannbarer TÃchter
handelte.
øberdies verlangte die Hochachtung vor sich selbst, dañ man auf ein
bØrgerliches Zusammenleben in der Familie nach auñen hin das nÃtige Gewicht
legte.
Die Zeitungsrubriken: "Kehre zurØck, alles ist verziehen" wuchsen immer
mehr und mehr, - ein Umstand, den Babinski, leichtsinnig wie die meisten
BerufsmÃrder, in seine Berechnungen nicht einbezogen hatte, - und erregten
schlieñlich die allgemeine Aufmerksamkeit.
In dem lieblichen DÃrfchen Krtsch bei Prag hatte sich Babinski, der
innerlich ein ausgesprochen idyllischer Charakter war, mit der Zeit durch
seine unverdrossene TÄtigkeit ein kleines, aber trautes Heim geschaffen. Ein
HÄuschen, blitzend vor Sauberkeit, und ein GÄrtchen davor mit blØhenden
Geranien.
Da es ihm seine EinkØnfte nicht gestatteten, sich zu vergrÃñern, sah er
sich genÃtigt, um die Leichen seiner Opfer unauffÄllig bestatten zu kÃnnen,
statt eines Blumenbeetes - wie er es gern gesehen hÄtte - einen
grasbewachsenen und schlichten, aber, den UmstÄnden angemessen: zweckmÄñigen
GrabhØgel anzulegen, der sich mØhelos verlÄngern lieñ, wenn es der Betrieb
oder die Saison erforderte.
Auf dieser WeihestÄtte pflegte Babinski allabendlich nach des Tages
Last und MØhen in den Strahlen der untergehenden Sonne zu sitzen und auf
seiner FlÃte allerlei schwermØtige Weisen zu blasen." - -
"Halt!" unterbrach Josua Prokop rauh, zog einen HausschlØssel aus der
Tasche, hielt ihn wie eine Klarinette an den Mund und sang:
"Zimzerlim zambusla - deh."
"Waren Sie denn dabei, dañ Sie die Melodie so genau kennen?", fragte
Vrieslander erstaunt.
Prokop warf ihm einen bitterbÃsen Blick zu: "Nein. Dazu hat Babinski zu
frØh gelebt. Aber was er gespielt haben kann, muñ ich als Komponist doch am
besten wissen. Ihnen steht darØber kein Urteil zu: Sie sind nicht
musikalisch. - - Zimzerlim - zambusla - busla - deh."
Zwakh hÃrte ergriffen zu, bis Prokop seinen HausschlØssel wieder
einsteckte, und fuhr dann fort:
"Das bestÄndige Wachsen des HØgels erweckte allmÄhlich Verdacht bei den
Anrainern, und einem Polizeimann aus der Vorstadt Zizkov, der gelegentlich
von weitem zusah, wie Babinski gerade eine alte Dame der guten Gesellschaft
erwØrgte, gebØhrt das Verdienst, dem selbstsØchtigen Treiben des Unholdes
ein fØr allemal Schranken gesetzt zu haben:
Man verhaftete Babinski in seinem Tuskulum.
Der Gerichtshof verurteilte ihn unter Zubilligung des mildernden
Umstandes eines ansonsten trefflichen Leumundes zum Tode durch den Strang
und beauftragte zugleich die Firma GebrØder Leipen - Seilwaren en gros und
en detail - die nÃtigen Hinrichtungsutensilien, soweit diese in ihre Branche
fielen, unter Anrechnung ziviler Preise einem hohen StaatsÄrar gegen
Quittung auszuhÄndigen.
Nun fØgte es sich aber, dañ der Strick riñ und Babinski zu
lebenslÄnglichem GefÄngnis begnadigt wurde.
Zwanzig Jahre verbØñte der RaubmÃrder hinter den Mauern von Sankt
Pankraz, ohne dañ je ein Vorwurf Øber seine Lippen gekommen wÄre; - noch
heute ist der Beamtenstab des Institutes voll Lob Øber seine vorbildliche
AuffØhrung, ja, man gestattete ihm sogar, an den Geburtstagen unseres
AllerhÃchsten Landesherrn ab und zu die FlÃte zu blasen; -"
Prokop suchte sofort wieder nach seinem HausschlØssel, aber Zwakh
wehrte ihm.
"- infolge allgemeiner Amnestie wurde dem Babinski der Rest der Strafe
nachgesehen, und er bekam die Stelle eines PfÃrtners im Kloster der
›Barmherzigen Schwestern‹.
Die leichte Gartenarbeit, die er nebenbei mit zu versehen hatte, ging
ihm dank der groñen, wÄhrend seines frØheren Wirkungskreises erworbenen
Geschicklichkeit im Gebrauch des Spatens hurtig von der Hand, so dañ ihm
hinlÄnglich Muñe blieb, Herz und Geist an guter, sorgfÄltig ausgewÄhlter
LektØre zu lÄutern.
Die daraus resultierenden Folgen waren hocherfreulich.
Sooft ihn die Oberin Samstagabends ins Wirtshaus schickte, damit er
sein GemØt ein wenig erheitere, jedesmal kam er pØnktlich vor Anbruch der
Nacht nach Hause mit dem Hinweis, der Verfall der allgemeinen Moral stimme
ihn trØbe und soviel lichtscheues Gesindel schlimmster Sorte mache die
Landstrañe unsicher, dañ es fØr jeden Friedliebenden ein Gebot der Klugheit
sei, rechtzeitig die Schritte heimwÄrts zu lenken.
Es war nun damaliger Zeit in Prag bei den Wachsziehern die Unsitte
eingerissen, kleine FigØrchen feilzuhalten, die ein rotes Manterle umhÄngen
hatten und den RaubmÃrder Babinski darstellten.
Wohl in keiner der leidtragenden Familien fehlte ein solches.
GewÃhnlich aber standen sie in den LÄden unter GlasstØrzen, und Øber
nichts konnte sich Babinski so empÃren, als wenn er eines derartigen
Wachsbildes ansichtig wurde.
›Es ist im hÃchsten Grade unwØrdig und zeugt von einer GemØtsroheit
sondersgleichen, einem Menschen bestÄndig die Verfehlungen seiner Jugendzeit
vor Augen zu fØhren,‹ pflegte Babinski in solchen FÄllen zu sagen ›und es
ist tief zu bedauern, dañ von Seiten der Obrigkeit nichts geschieht, so
offenkundigem Unfug zu steuern.‹
Noch auf dem Totenbette Äuñerte er sich in Ähnlichem Sinne.
Nicht vergebens, denn bald darauf verfØgte die BehÃrde die Einstellung
des Handels mit den Ärgerniserregenden Babinskischen Statuetten." - - -
- - - Zwakh tat einen mÄchtigen Schluck aus seinem Grogglas und alle
drei grinsten wie die Teufel, dann wandte er vorsichtig den Kopf nach der
farblosen Kellnerin, und ich sah, wie sie eine TrÄne im Auge zerdrØckte.
- "Na, und Sie geben nichts zum besten, auñer - natØrlich - dañ Sie aus
Dankbarkeit fØr den Øberstandenen Kunstgenuñ die Zeche berappen,
wertgeschÄtzter Kollege und Gemmenschneider?", fragte mich Vrieslander nach
einer langen Pause allgemeinen Tiefsinnes.
Ich erzÄhlte ihnen meine Wanderung durch den Nebel.
Als ich in der Schilderung zu der Stelle kam, wo ich das weiñe Haus
erblickt hatte, nahmen alle drei vor Spannung die Pfeifen aus den ZÄhnen,
und als ich schloñ, schlug Prokop mit der Faust auf den Tisch und rief:
"Das ist doch rein - -! Alle Sagen, die es gibt, erlebt dieser Pernath
am eigenen Kadaver. - A propos, der Golem von damals - Sie wissen: die Sache
hat sich aufgeklÄrt."
"Wieso aufgeklÄrt?" fragte ich baff.
"Sie kennen doch den verrØckten jØdischen Bettler ›Haschile‹? Nein? Nun
also: dieser Haschile war der Golem."
"Ein Bettler der Golem?"
"Jawohl, der Haschile war der Golem. Heute nachmittag ging das Gespenst
seelenvergnØgt bei hellichtem Sonnenschein in seinem berØchtigten
altmodischen Anzug aus dem XVII. Jahrhundert durch die Salnitergasse
spazieren, und da hat es der Schinder mit einer Hundeschlinge glØcklich
eingefangen."
"Was soll das heiñen? Ich verstehe kein Wort!" fuhr ich auf.
"Ich sage Ihnen doch: der Haschile war es! Er hat die Kleider, hÃre
ich, vor lÄngerer Zeit hinter einem Haustor gefunden. - øbrigens, um auf das
weiñe Haus auf der Kleinseite zurØckzukommen: die Sache ist furchtbar
interessant. Es geht nÄmlich eine alte Sage, dañ dort oben in der
Alchimistengasse ein Haus steht, das nur bei Nebel sichtbar wird, und auch
da bloñ ›Sonntagskindern‹. Man nennt es ›die Mauer zur letzten Laterne‹. Wer
bei Tag hinaufgeht, sieht dort nur einen groñen, grauen Stein, - dahinter
stØrzt es jÄh ab in die Tiefe in den Hirschgraben, und Sie kÃnnen von GlØck
sagen, Pernath, dañ Sie keinen Schritt weiter gemacht haben: Sie wÄren
unfehlbar hinuntergefallen und hÄtten sÄmtliche Knochen gebrochen.
Unter dem Stein, heiñt es, ruht ein riesiger Schatz, und er soll von
dem Orden der ›Asiatischen BrØder‹, die angeblich Prag gegrØndet haben, als
Grundstein fØr ein Haus gelegt worden sein, das dereinst am Ende der Tage
ein Mensch bewohnen wird - besser gesagt ein Hermaphrodit - ein GeschÃpf,
das sich aus Mann und Weib zusammensetzt. Und der wird das Bild eines Hasen
im Wappen tragen, - nebenbei: der Hase war das Symbol des Osiris, und daher
stammt wohl die Sitte mit dem Osterhasen.
Bis die Zeit gekommen ist, heiñt es, hÄlt Methusalem in eigener Person
Wache an dem Ort, damit Satan nicht den Stein beflattert und einen Sohn mit
ihm zeugt: den sogenannten Armilos. - Haben Sie noch nie von diesem Armilos
erzÄhlen hÃren? - Sogar wie er aussehen wØrde, weiñ man - das heiñt, die
alten Rabbiner wissen es; - wenn er auf die Welt kÄme: Haare aus Gold wØrde
er haben, rØckwÄrts zum Schopf gebunden, dann: zwei Scheitel, sichelfÃrmige
Augen und Arme bis herunter zu den FØñen."
"Dieses Ehrengigerl sollte man aufzeichnen", brummte Vrieslander und
suchte nach einem Bleistift.
"Also: Pernath, wenn Sie einmal das GlØck haben sollten, ein
Hermaphrodit zu werden und en passant den vergrabenen Schatz zu finden,"
schloñ Prokop, "dann vergessen Sie nicht, dañ ich stets Ihr bester Freund
gewesen bin!"
- Mir war nicht zum Spañmachen zumute, und ich fØhlte ein leises Weh im
Herzen.
Zwakh mochte es mir ansehen, wenn er auch den Grund nicht wuñte, denn
er kam mir rasch zu Hilfe:
"Jedenfalls ist es hÃchst merkwØrdig, fast unheimlich, dañ Pernath
gerade eine Vision an jener Stelle hatte, die mit einer uralten Sage so eng
verknØpft ist. - Da sind ZusammenhÄnge, aus deren Umklammerung sich ein
Mensch anscheinend nicht befreien kann, wenn seine Seele die FÄhigkeit hat,
Formen zu sehen, die dem Tastsinn vorenthalten sind. - Ich kann mir nicht
helfen: das øbersinnliche ist doch das Reizvollste! - Was meint ihr?"
Vrieslander und Prokop waren ernst geworden, und jeder von uns hielt
eine Antwort fØr ØberflØssig.
"Was meinen Sie, Eulalia?" wiederholte Zwakh, zurØckgewendet, seine
Frage.
Die alte Kellnerin kratzte sich mit der Stricknadel am Kopf, seufzte,
errÃtete und sagte:
"Aber gÄhn' Sie! Sie sind mir ein Schlimmer."
"Eine verdammt gespannte Luft war heute den ganzen Tag Øber", fing
Vrieslander an, nachdem sich unser Heiterkeitsausbruch gelegt hatte, "nicht
einen Pinselstrich hab' ich fertiggebracht. FortwÄhrend hab' ich an die
Rosina denken mØssen, wie sie im Frack getanzt hat."
"Ist sie wieder aufgefunden worden?", fragte ich.
"›Aufgefunden‹ ist gut. Die Sittenpolizei hat sie doch fØr ein lÄngeres
Engagement gewonnen! - Vielleicht hat sie dem Herrn KommissÄr - damals ›beim
Loisitschek‹, ins Auge gestochen? Jedenfalls ist sie jetzt - fieberhaft
tÄtig und trÄgt wesentlich zur Hebung des Fremdenverkehrs in der Judenstadt
bei. Ein verflucht dralles Mensch ist sie Øbrigens schon geworden in der
kurzen Zeit."
"Wenn man bedenkt, was ein Weib aus einem Mann machen kann bloñ
dadurch, dañ sie ihn verliebt sein lÄñt in sich: es ist zum Staunen", warf
Zwakh hin. "Um das Geld aufzubringen, zu ihr gehen zu kÃnnen, ist der arme
Bursche, der Jaromir, Øber Nacht KØnstler geworden. Er geht in den
WirtshÄusern herum und schneidet Silhouetten fØr GÄste aus, die sich auf
diese Art portrÄtieren lassen."
Prokop, der den Schluñ ØberhÃrt hatte, schmatzte mit den Lippen:
"Wirklich? Ist sie so hØbsch geworden, die Rosina? - Haben Sie ihr
schon ein KØñchen geraubt, Vrieslander?"
Die Kellnerin sprang sofort auf und verlieñ indigniert das Zimmer.
"Das Suppenhuhn! Die hat's wahrhaftig nÃtig, - TugendanfÄlle! Pah!",
brummte Prokop Ärgerlich hinter ihr drein.
"Was wollen Sie, sie ist doch bei der unrichtigen Stelle abgegangen.
Und auñerdem war der Strumpf gerade fertig", beschwichtigte ihn Zwakh.
Der Wirt brachte neuen Grog und die GesprÄche fingen allmÄhlich an,
eine schwØle Richtung zu nehmen. Zu schwØl, als dañ sie mir nicht ins Blut
gegangen wÄren bei meiner fiebrigen Stimmung.
Ich strÄubte mich dagegen, aber je mehr ich mich innerlich abschloñ und
an Angelina zurØckdachte, um so heiñer brauste es mir in den Ohren.
Ziemlich unvermittelt verabschiedete ich mich.
Der Nebel war durchsichtiger geworden, sprØhte feine Eisnadeln auf
mich, war aber immer noch so dicht, dañ ich die Strañentafeln nicht lesen
konnte und von meinem Heimweg um ein geringes abkam.
Ich war in eine andere Gasse geraten und wollte eben umkehren, da hÃrte
ich meinen Namen rufen:
"Herr Pernath! Herr Pernath!"
Ich blickte um mich, in die HÃhe:
Niemand!
Ein offenes Haustor, darØber diskret eine kleine, rote Laterne, gÄhnte
neben mir auf, und eine helle Gestalt - schien mir - stand tief im Flur
darin.
Wieder: "Herr Pernath! Herr Pernath!" Im FlØsterton.
Ich trat erstaunt in den Gang, - da schlangen sich warme Frauenarme um
meinen Hals, und ich sah bei dem Lichtstrahl, der aus einem sich langsam
Ãffnenden TØrspalt fiel, dañ es Rosina war, die sich heiñ an mich preñte.
List
Ein grauer, blinder Tag.
Bis tief in den Morgen hinein hatte ich geschlafen, traumlos,
bewuñtlos, wie ein Scheintoter.
Meine alte Bedienerin war ausgeblieben oder hatte vergessen
einzuheizen.
Kalte Asche lag im Ofen.
Staub auf den MÃbeln.
Der Fuñboden nicht gekehrt.
FrÃstelnd ging ich auf und ab.
WiderwÄrtiger Geruch nach ausgeatmetem Fusel lag im Zimmer. Mein
Mantel, meine Kleider stanken nach altem Tabakrauch.
Ich riñ das Fenster auf, schloñ es wieder: - der kalte, schmutzige
Hauch von der Strañe war unertrÄglich.
Spatzen mit durchnÄñtem Gefieder hockten regungslos drauñen auf den
Dachrinnen.
Wohin ich blickte, miñfarbene Verdrossenheit. Alles in mir war
zerrissen, zerfetzt.
Das Sitzpolster auf dem Lehnstuhl - wie fadenscheinig es war! Die
Roñhaare quollen hervor aus den RÄndern.
Man muñte es zum Tapezierer schicken - - ach was, sollte es so bleiben
- noch ein Ãdes Menschenleben hindurch, bis alles zu Gerumpel zerfiel!
Und dort, welch geschmackloser, zweckwidriger Plunder, diese
Zwirnlappen an den Fenstern!
Warum drehte ich sie nicht zu einem Strick und erhenkte mich daran?!
Dann brauchte ich diese augenverletzenden Dinge wenigstens nie mehr zu
sehen, und der ganze graue, zermØrbende Jammer war vorØber - ein fØr
allemal.
Ja! Das war das gescheiteste! Ein Ende machen.
Heute noch.
Jetzt noch - vormittags. Gar nicht erst zum Essen gehen. - Ein
ekelhafter Gedanke, mit vollem Magen sich aus der Welt zu schaffen! In der
nassen Erde liegen und unverdaute, verfaulende Speisen in sich zu haben.
Wenn nur nie wieder die Sonne scheinen wollte und ihre freche LØge von
der Freude des Daseins einem ins Herz funkeln.
Nein! ich lieñ mich nicht mehr narren, wollte nicht lÄnger der
Spielball sein eines tÄppischen, zwecklosen Schicksals, das mich emporhob
und dann wieder in PfØtzen stieñ, bloñ damit ich die VergÄnglichkeit alles
Irdischen einsehen sollte, etwas, was ich lÄngst wuñte, was jedes Kind weiñ,
jeder Hund auf der Strañe weiñ.
Arme, arme Mirjam! Wenn ich ihr wenigstens helfen kÃnnte.
Es hieñ, einen Entschluñ fassen, einen ernsten, unabÄnderlichen
Beschluñ, bevor der verfluchte Trieb zum Dasein wieder in mir erwachen
konnte und mir neue Trugbilder vorgaukeln.
Wozu hatten sie mir denn gedient: alle diese Botschaften aus dem Reich
des Unverweslichen?
Zu nichts, zu gar, gar nichts.
Nur dazu vielleicht, dañ ich im Kreis herumgetaumelt war und jetzt die
Erde als unmÃgliche Qual empfand.
Da gab es nur noch eins.
Ich rechnete im Kopf zusammen, wieviel Geld ich auf der Bank liegen
hatte.
Ja, nur so ging es. Das war noch das Einzige, Winzige, was von meinen
nichtigen Taten im Leben irgendeinen Wert haben konnte!
Alles, was ich besañ - die paar Edelsteine in der Schublade dazu, -
zusammenschnØren in ein Paket und es Mirjam schicken. Ein paar Jahre
wenigstens wØrde es die Sorge ums tÄgliche Leben von ihr nehmen. Und einen
Brief an Hillel schreiben, in dem ich ihm sagte, wie es um sie stand mit dem
"Wunder".
Er allein konnte ihr helfen.
Ich fØhlte: ja, er wØrde Rat wissen fØr sie.
Ich suchte die Steine zusammen, steckte sie ein, sah auf die Uhr: wenn
ich jetzt auf die Bank ging - in einer Stunde konnte alles in Ordnung
gebracht sein.
Und dann noch einen Strauñ roter Rosen kaufen fØr Angelina! - - - - es
schrie auf in mir vor Weh und wilder Sehnsucht. - Nur noch einen Tag, einen
einzigen Tag mÃchte ich leben!
Um dann abermals dieselbe wØrgende Verzweiflung mitmachen zu mØssen?
Nein, nicht eine einzige Minute mehr warten! Es kam wie Befriedigung
Øber mich, dañ ich mir nicht nachgegeben hatte.
Ich blickte umher. Blieb mir noch etwas zu tun?
Richtig: die Feile dort. Ich steckte sie in die Tasche, - wollte sie
fortwerfen irgendwo auf der Gasse, wie ich es mir neulich schon vorgenommen.
Ich hañte die Feile! Wieviel hatte gefehlt, und ich wÄre zum MÃrder
geworden durch sie.
Wer kam mich denn da wieder stÃren?
Es war der TrÃdler.
"Nur en Augenblick, Herr von Pernath", bat er fassungslos, als ich ihm
bedeutete, dañ ich keine Zeit hÄtte. "Nur en ganz en kurzen Augenblick. Nur
Ä paar Worte."
Der Schweiñ lief ihm Øbers Gesicht, und er zitterte vor Aufregung.
"Kann man hier auch ungestÃrt mit Ihnen sprechen, Herr von Pernath? Ich
mÃcht' nicht, dañ der - der Hillel wieder hereinkommt. Sperren Sie doch
lieber die TØr ab, oder geh'mer besser ins Nebenzimmer", - er zog mich in
seiner gewohnten, heftigen Art hinter sich drein.
Dann sah er sich ein paarmal scheu um und flØsterte heiser:
"Ich hab mir's Øberlegt, wissen Sie, - das von neilich. Es is besser
so. Es kommt nix hereaus dabei. Gut. VorØber is vorØber."
Ich suchte in seinen Augen zu lesen.
Er hielt meinen Blick aus, krampfte aber die Hand in die Stuhllehne,
solche Anstrengung kostete es ihn.
"Das freut mich, Herr Wassertrum," sagte ich, so freundlich ich konnte,
"das Leben ist zu trØb, als dañ man es sich gegenseitig noch mit Hañ
verbittern sollte."
"Rein, als ob man ein gedrØcktes Buch reden hÃrt," grunzte er
erleichtert, wØhlte in seinen Hosentaschen und zog wieder die goldene Uhr
mit den verbogenen Sprungdeckeln hervor, "und damit Sie sehen, ich mein's
ehrlich, mØssen Sie die Kleinigkeit da von mir annehmen. Als Geschenk."
"Was fÄllt Ihnen denn ein," wehrte ich ab, "Sie werden doch wohl nicht
glauben -", da fiel mir ein, was Mirjam Øber ihn gesagt hatte, und ich
streckte ihm die Hand hin, um ihn nicht zu krÄnken.
Er achtete nicht darauf, wurde plÃtzlich weiñ wie die Wand, lauschte
und rÃchelte:
"Da! Da! Hab' ich's doch gewuñt. Schon wieder der Hillel! Er klopft."
Ich horchte, ging ins andere Zimmer zurØck und zog zu seiner Beruhigung
die VerbindungstØr hinter mir halb zu.
Es war diesmal nicht Hillel. Charousek trat ein, legte, wie zum
Zeichen, dañ er wisse, wer nebenan sei, den Finger an die Lippen und
ØberschØttete mich in der nÄchsten Sekunde und ohne abzuwarten, was ich
sagen wØrde, mit einem Schwall von Worten:
"Oh, mein hochverehrter, liebwerter Meister Pernath, wie soll ich nur
die Worte finden, Ihnen meine Freude auszudrØcken, dañ ich Sie allein und
wohlauf zu Hause antreffe." - - - Er sprach wie ein Schauspieler, und seine
schwØlstige, unnatØrliche Redeweise stand in so krassem Gegensatz zu seinem
verzerrten Gesicht, dañ ich ein tiefes Grauen vor ihm empfand.
"Niemals hÄtte ich, Meister, es gewagt, in dem zerlumpten Zustande zu
Ihnen zu kommen, in dem Sie mich gewiñ schon des Ãfteren auf der Strañe
erblickt haben, - doch, was sage ich: erblickt! haben Sie mir doch oft
huldreich die Hand gereicht.
Dañ ich heute vor Sie hintreten kann mit weiñem Kragen und in sauberem
Anzug, - wissen Sie, wem ich es verdanke? Einem der edelsten und leider -
ach - meist verkannten Menschen unserer Stadt. RØhrung Øbermannt mich, wenn
ich seiner gedenke.
Selber in bescheidenen VerhÄltnissen, hat er dennoch eine offene Hand
fØr Arme und BedØrftige. Von jeher, wenn ich ihn traurig vor seinem Laden
stehen sah, trieb es mich aus tiefstem Herzen heraus, zu ihm zu treten und
ihm stumm die Hand zu drØcken.
Vor einigen Tagen rief er mich an, als ich vorØberging, schenkte mir
Geld und versetzte mich dadurch in die Lage, mir gegen Ratenzahlung einen
Anzug kaufen zu kÃnnen.
Und wissen Sie, Meister Pernath, wer mein WohltÄter war? -
Mit Stolz sage ich es, denn ich war von jeher der einzige, der geahnt
hat, welch goldenes Herz in seinem Busen schlÄgt: Es war - Herr Aaron
Wassertrum!" - -
- - Ich verstand natØrlich, dañ Charousek seine KomÃdie auf den
TrÃdler, der nebenan lauschte, gemØnzt hatte, wenn mir auch unklar blieb,
was er damit bezweckte; keinesfalls schien mir die allzuplumpe Schmeichelei
geeignet, den miñtrauischen Wassertrum hinters Licht zu fØhren. Charousek
erriet offenbar aus meiner bedenklichen Miene, was ich dachte, schØttelte
grinsend den Kopf, und auch seine nÄchsten Worte sollten mir wahrscheinlich
sagen, dañ er seinen Mann genau kenne und wisse, wie dick er auftragen
dØrfe.
"Jawohl! Herr - Aaron - Wassertrum! Es drØckt mir fast das Herz ab, dañ
ich ihm nicht selbst sagen kann, wie unendlich dankbar ich ihm bin, und
beschwÃre Sie, Meister, verraten Sie ihm niemals, dañ ich hier war und Ihnen
alles erzÄhlt habe. - Ich weiñ, die Selbstsucht der Menschen hat ihn
verbittert und tiefes, unheilbares - ach, leider nur zu gerechtfertigtes
Miñtrauen in seine Brust gepflanzt.
Ich bin Seelenarzt, aber auch mein GefØhl sagt mir, es ist am besten:
Herr Wassertrum erfÄhrt nie - auch aus meinem Munde nicht - wie hoch ich von
ihm denke. - Es hieñe das: Zweifel in sein unglØckliches Herz sÄen. Und das
sei ferne von mir. Lieber soll er mich fØr undankbar halten.
Meister Pernath! Ich bin selbst ein UnglØcklicher und weiñ von
Kindesbeinen an, was es heiñt, einsam und verlassen in der Welt zu stehen!
Ich kenne nicht einmal den Namen meines Vaters. Auch mein MØtterlein habe
ich niemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie muñ frØhzeitig gestorben
sein -" Charouseks Stimme wurde seltsam geheimnisvoll und eindringlich, -
"und war, wie ich bestimmt glaube, eine jener tiefseelisch angelegten
Naturen, die nie sagen kÃnnen, wie unendlich sie lieben, und zu denen auch
Herr Aaron Wassertrum gehÃrt.
Ich besitze eine abgerissene Seite aus dem Tagebuch meiner Mutter - ich
trage das Blatt bestÄndig auf der Brust - und darin steht, dañ sie meinen
Vater, obschon er hÄñlich gewesen sein soll, geliebt hat, wie wohl noch nie
ein sterbliches Weib auf Erden einen Mann geliebt hat.
Dennoch scheint sie es nie gesagt zu haben. - Vielleicht aus Ähnlichen
GrØnden, weshalb ich z. B. Herrn Wassertrum nicht sagen kÃnnte - und wenn
mir das Herz darØber brÄche - was ich fØr ihn an Dankbarkeit fØhle.
Aber noch eins geht aus dem Tagebuchblatt hervor, wenn ich es auch nur
erraten kann, denn die SÄtze sind fast unleserlich vor TrÄnenspuren: mein
Vater - sein Andenken mÃge vergehen im Himmel und auf Erden! - muñ
scheuñlich an meiner Mutter gehandelt haben."
- Charousek fiel plÃtzlich auf die Knie, dañ der Boden drÃhnte, und
schrie in so markerschØtternden TÃnen, dañ ich nicht wuñte, spielte er noch
immer KomÃdie oder war er wahnsinnig geworden:
"Du AllmÄchtiger, dessen Namen der Mensch nicht aussprechen soll, hier
auf meinen Knien liege ich vor Dir: verflucht, verflucht, verflucht sei mein
Vater in alle Ewigkeit!"
Er biñ das letzte Wort fÃrmlich entzwei und horchte eine Sekunde lang
mit aufgerissenen Augen.
Dann feixte er wie der Satan. Auch mir schien es, als hÄtte Wassertrum
nebenan leise gestÃhnt.
"Verzeihen Sie, Meister," fuhr Charousek nach einer Pause mit mimenhaft
erstickter Stimme fort, "verzeihen Sie, dañ es mich Øbermannt hat, aber es
ist mein Gebet frØh und spÄt, der AllmÄchtige wolle es fØgen, dañ mein
Vater, wer immer er auch sein mÃge, dereinst das grÄñlichste Ende nehme, das
sich ausdenken lÄñt."
Ich wollte unwillkØrlich etwas erwidern, allein Charousek unterbrach
mich rasch:
"Doch jetzt, Meister Pernath, komme ich zu der Bitte, die ich Ihnen
vorzutragen habe:
Herr Wassertrum besañ einen SchØtzling, den er Øber die Mañen ins Herz
geschlossen hatte, - es dØrfte ein Neffe von ihm gewesen sein. Es heiñt
sogar, es sei sein Sohn gewesen, aber ich will es nicht glauben, denn sonst
hÄtte er doch denselben Namen getragen, in Wirklichkeit aber hieñ er:
Wassory, Dr. Theodor Wassory.
Die TrÄnen treten mir in die Augen, wenn ich ihn im Geiste vor mir
sehe. Ich war ihm aus ganzer Seele zugetan, als hÄtte mich ein unmittelbares
Band der Liebe und Verwandtschaft mit ihm verknØpft."
Charousek schluchzte, als kÃnne er vor Ergriffenheit kaum
weitersprechen.
"Ach, dañ dieser Edeling von der Erde gehen muñte! - Ach! Ach!
Was auch der Grund gewesen sein mag, - ich habe ihn nie erfahren, - er
hat sich selbst den Tod gegeben. Und ich war unter denen, die zu Hilfe
gerufen wurden - - ach, ach, zu spÄt - zu spÄt - zu spÄt! Und als ich dann
allein am Totenlager stand und seine kalte, bleiche Hand mit KØssen
bedeckte, da - warum soll ich es nicht eingestehen, Meister Pernath? - es
war ja doch kein Diebstahl - da nahm ich eine Rose von der Brust der Leiche
und eignete mir das FlÄschchen an, mit dessen Inhalt der UnglØckliche seinem
blØhenden Leben ein schnelles Ende bereitet hatte."
Charousek zog eine Medizinflasche hervor und fuhr bebend fort:
"Beides lege ich hier auf Ihren Tisch, die verdorrte Rose und die
Phiole; sie waren mir ein Andenken an meinen dahingegangenen Freund.
Wie oft in Stunden innerer Verlassenheit, wenn ich mir den Tod
herbeiwØnschte in der Einsamkeit meines Herzens und der Sehnsucht nach
meiner toten Mutter, spielte ich mit diesem FlÄschchen, und es gab mir einen
seligen Trost, zu wissen: ich brauchte nur die FlØssigkeit auf ein Tuch zu
gieñen und einzuatmen und schwebte schmerzlos hinØber in die Gefilde, wo
mein lieber, guter Theodor ausruht von den MØhsalen unseres Jammertales.
Und nun bitte ich Sie, hochverehrter Meister, - und deswegen bin ich
hergekommen - nehmen Sie beides und bringen Sie es Herrn Wassertrum.
Sagen Sie, Sie hÄtten es von jemandem bekommen, dem Dr. Wassory
nahestand, dessen Namen Sie jedoch gelobt hÄtten, nie zu nennen, -
vielleicht von einer Dame.
Er wird es glauben, und es wird ihm ein Andenken sein, wie es ein
teures Andenken fØr mich war.
Das soll der heimliche Dank sein, den ich ihm gebe. Ich bin arm und es
ist alles, was ich habe, aber es macht mich froh, zu wissen: beides wird
jetzt ihm gehÃren, und dennoch ahnt er nicht, dañ ich der Geber bin.
Es liegt darin zugleich auch fØr mich etwas unendlich SØñes.
Und jetzt leben Sie wohl, teurer Meister, und seien Sie im voraus
vieltausendmal bedankt."
Er hielt meine Hand fest, zwinkerte und flØsterte mir, als ich noch
immer nicht verstand, kaum hÃrbar etwas zu.
"Warten Sie, Herr Charousek, ich werde Sie ein StØckchen
hinunterbegleiten", sagte ich mechanisch die Worte nach, die ich von seinen
Lippen las, und ging mit ihm hinaus.
Auf dem finsteren Treppenabsatz im ersten Stock blieben wir stehen, und
ich wollte mich von Charousek verabschieden.
"Ich kann mir denken, was Sie mit der KomÃdie bezweckt haben. - - Sie -
Sie wollen, dañ sich Wassertrum mit dem FlÄschchen vergiftet!" Ich sagte es
ihm ins Gesicht.
"Freilich", gab Charousek aufgerÄumt zu.
"Und dazu, glauben Sie, werde ich meine Hand bieten?"
"Durchaus nicht nÃtig."
"Aber ich sollte Wassertrum doch die Flasche bringen, sagten Sie
vorhin!"
Charousek schØttelte den Kopf:
"Wenn Sie jetzt zurØckgehen, werden Sie sehen, dañ er sie bereits
eingesteckt hat."
"Wie kÃnnen Sie das nur annehmen?", fragte ich erstaunt. "Ein Mensch
wie Wassertrum wird sich niemals umbringen, - ist viel zu feig dazu -
handelt nie nach plÃtzlichen Impulsen."
"Da kennen Sie das schleichende Gift der Suggestion nicht", unterbrach
mich Charousek ernst. "HÄtte ich in alltÄglichen Worten geredet, wØrden Sie
vielleicht recht behalten, aber auch den kleinsten Tonfall habe ich vorher
berechnet. Nur das widerlichste Pathos wirkt auf solche HundsfÃtter! Glauben
Sie mir! Sein Mienenspiel bei jedem meiner SÄtze hÄtte ich Ihnen hinzeichnen
kÃnnen. - Kein ›Kitsch‹ wie es die Maler nennen, ist niedertrÄchtig genug,
als dañ er nicht der bis ins Mark verlogenen Menge TrÄnen entlockte - sie
ins Herz trifft! Glauben Sie denn, man hÄtte nicht lÄngst sÄmtliche Theater
mit Feuer und Schwert ausgetilgt, wenn es anders wÄre? An der
SentimentalitÄt erkennt man die Kanaille. Tausende armer Teufel kÃnnen
verhungern, da wird nicht geweint, aber wenn ein Schminkkamel auf der Buhne,
als Bauerntrampel verkleidet, die Augen verdreht, dann heulen sie wie die
Schloñhunde. - - Wenn VÄterchen Wassertrum vielleicht auch morgen vergessen
hat, was ihm soeben noch - Herzjauche kostete: jedes meiner Worte wird
wieder in ihm lebendig werden, wenn die Stunden reifen, wo er sich selbst
unendlich bedauernswert vorkommt. - In solchen Momenten des groñen Misereres
bedarf es bloñ eines leisen Anstoñes, - und fØr den werde ich sorgen - und
selbst die feigste Pfote greift nach dem Gift. Es muñ nur zur Hand sein!
Theodorchen hÄtte wahrscheinlich auch nicht zugegrapst, wenn ich's ihm nicht
so bequem gemacht hÄtte."
"Charousek, Sie sind ein furchtbarer Mensch", rief ich entsetzt.
"Empfinden Sie denn gar kein - - -"
Er hielt mir schnell den Mund zu und drÄngte mich in eine Mauernische!
"Still! Da ist er!"
Mit taumelnden Schritten, sich an der Wand stØtzend, kam Wassertrum die
Stiege herunter und wankte an uns vorØber.
Charousek schØttelte mir fluchtig die Hand und schlich ihm nach. - -
Als ich in mein Zimmer zurØckgekehrt war, sah ich, dañ die Rose und das
FlÄschchen verschwunden waren und an ihrer Stelle die goldene, zerbeulte Uhr
des TrÃdlers auf dem Tisch lag.
"Acht Tage mØsse ich warten, ehe ich mein Geld bekommen kÃnne; es sei
das die Øbliche KØndigungsfrist", hatte man mir auf der Bank gesagt.
Man solle den Direktor holen, denn ich sei in grÃñter Eile und gedÄchte
in einer Stunde abzureisen, hatte ich eine Ausrede gebraucht.
Er sei nicht zu sprechen und kÃnne an den Gepflogenheiten der Bank auch
nichts Ändern, hieñ es, und ein Kerl mit einem Glasauge, der zugleich mit
mir an den Schalter getreten war, hatte darØber gelacht.
Acht graue, furchtbare Tage auf den Tod sollte ich also warten!
Wie ein Zeitraum ohne Ende kam es mir vor. - - -
Ich war so niedergeschlagen, dañ ich mir gar nicht bewuñt wurde, wie
lange ich schon vor der TØre eines Kaffeehauses auf und nieder geschritten
sein mochte.
Endlich trat ich ein, bloñ um den widerwÄrtigen Kerl mit dem Glasauge
los zu werden, der mir von der Bank her nachgekommen war und sich immer in
meiner NÄhe hielt und, wenn ich ihn anblickte, sofort auf dem Boden
herumsuchte, als habe er etwas verloren.
Er hatte einen hellkarierten, viel zu engen Rock an und schwarze,
speckglÄnzende Hosen, die ihm wie SÄcke um die Beine schlotterten. Auf
seinem linken Stiefel war ein eifÃrmiger, gewÃlbter Lederfleck aufgesteppt,
dañ es aussah, als trØge er darunter einen Siegelring auf der Zehe.
Kaum hatte ich mich niedergesetzt, kam auch er herein und lieñ sich an
einem Nebentisch nieder.
Ich glaubte, er wolle mich anbetteln, und suchte schon nach meinem
Portemonnai, da sah ich einen groñen Brillanten an seinen wulstigen
Metzgerfingern aufblitzen.
Stunden und Stunden sañ ich in dem Kaffeehaus und glaubte vor innerer
NervositÄt wahnsinnig werden zu mØssen, - aber wohin sollte ich gehen? Nach
Hause? Herumschlendern? Eines schien mir grÄñlicher als das andere.
Die veratmete Luft, das ewige, alberne Klappen der Billardkugeln, das
trockene, unaufhÃrliche Gerausper eines halbblinden Zeitungstigers mir
gegenØber, ein storchbeiniger Infanteneleutnant, der abwechselnd in der Nase
bohrte oder sich mit gelben Zigarettenfingern vor einem Taschenspiegel den
Schnurrbart kÄmmte, ein braunsammetenes Gebrodel ekelhafter, verschwitzter,
schnatternder Italiener um den Kartentisch in der Ecke, die bald unter
gellem Gekreisch ihre Trumpfe mit dem Faustknochel hinschlugen, bald unter
Brecherscheinungen ins Zimmer spuckten. Und das alles in den Wandspiegeln
doppelt und dreifach sehen zu mØssen! Es sog mir langsam das Blut aus den
Adern. -
Es wurde allmÄhlich dunkel und ein plattfuñiger, knieweicher Kellner
tastete mit einer Stange nach den GaslØstern, um sich endlich kopfschØttelnd
zu Øberzeugen, dañ sie nicht brennen wollten.
So oft ich das Gesicht wandte, immer begegnete ich dem schielenden
Wolfsblick des GlasÄugigen, der sich dann jedesmal rasch hinter eine Zeitung
versteckte oder seinen schmutzigen Schnurrbart in die langst ausgetrunkene
Kaffeetasse tauchte.
Er hatte seinen steifen, runden Hut tief aufgestØlpt, dañ ihm die Ohren
fast waagerecht abstanden, machte aber keine Miene, aufzubrechen.
Es war nicht mehr auszuhalten.
Ich zahlte und ging.
Als ich die GlastØr hinter mir zumachen wollte, nahm mir jemand die
Klinke aus der Hand - Ich drehte mich um:
Wieder der Kerl!
ärgerlich wollte ich nach links biegen, in der Richtung der Judenstadt
zu, da drÄngte er sich an meine Seite und hinderte mich daran.
"Da hÃrt denn doch alles auf!" schrie ich ihn an.
"Nach rechts geht's," sagte er kurz.
"Was soll das heiñen?"
Er fixierte mich frech:
"Sie sind der Pernath!"
"Sie wollen wahrscheinlich sagen: Herr Pernath?"
Er lachte nur hÄmisch:
"Alsdann keine Faxen jetz! Sie gah'n Sie mit!"
"Ja, sind Sie toll? Wer sind Sie eigentlich?", fuhr ich auf.
Er gab keine Antwort, schlug seinen Rock zurØck und zeigte vorsichtig
auf einen abgeschabten Blechadler, der im Futter festgesteckt war.
Ich begriff: der Falott war Geheimpolizist und verhaftete mich.
"So sagen Sie doch, um Himmels willen, was ist denn los?"
"Sie werden sich's schonn erfahrrÄhn. Auf dem DÄpartemÄnt", erwiderte
er grob. "Alla marsch jetz!"
Ich schlug ihm vor, ich wollte einen Wagen nehmen.
"Nix da!"
Wir gingen zur Polizei.
Ein Gendarm fØhrte mich vor eine TØr.
ALOIS OTSCHIN
Polizeirat
las ich auf der Porzellantafel.
"Sie kÄnnen sich eintrÄtten", sagte der Gendarm.
Zwei schmierige Schreibtische mit meterhohen AufsÄtzen standen einander
gegenØber.
Ein paar verkraxte StØhle dazwischen.
Das Bild des Kaisers an der Wand.
Ein Glas mit Goldfischen auf dem Fensterbrett.
Sonst nichts im Zimmer.
Ein Klumpfuñ und daneben ein dicker Filzschuh unter zerfransten grauen
Hosen hinter dem linken Schreibpult.
Ich hÃrte rascheln. Jemand murmelte ein paar Worte in bÃhmischer
Sprache und gleich darauf tauchte der Herr Polizeirat aus dem rechten
Schreibtisch auf und trat vor mich hin.
Er war ein kleiner Mann mit grauem Spitzbart und hatte die sonderbare
Manier, bevor er anfing zu reden, die ZÄhne zu fletschen wie jemand, der in
grelles Sonnenlicht schaut.
Dabei kniff er die Augen hinter den Brillenglasern zusammen, was ihm
den Ausdruck furchterregender Niedertracht verlieh.
"Sie heiñen Athanasius Pernath und sind" - er blickte auf ein Blatt
Papier, auf dem nichts stand - "Gemmenschneider."
Sofort kam Leben in den Klumpfuñ unter dem anderen Schreibtisch: er
wetzte sich an dem Stuhlbein, und ich hÃrte das Rauschen einer Schreibfeder.
Ich bejahte:
"Pernath. Gemmenschneider."
"No, da sin wir ja gleich beisammen, Herr - - - Pernath, - jawohl
Pernath. Ja wohl ja." - Der Herr Polizeirat war mit einem Schlag von
erstaunlicher LiebenswØrdigkeit, als hÄtte er die erfreulichste Nachricht
von der Welt bekommen, streckte mir beide HÄnde entgegen und bemØhte sich in
lÄcherlicher Weise, die Miene eines Biedermannes aufzusetzen.
"Also, Herr Pernath, erzÄhlen Sie mir einmal, was treiben Sie so den
ganzen Tag?"
"Ich glaube, dañ Sie das nichts angeht, Herr Otschin", antwortete ich
kalt.
Er kniff die Augen zusammen, wartete einen Moment und fuhr blitzschnell
los:
"Seit wann hat die GrÄfin ihr VerhÄltnis mit dem Savioli?"
Ich war auf etwas ähnliches gefañt gewesen und zuckte nicht mit der
Wimper.
Er suchte mich geschickt durch Kreuz- und Querfragen in WidersprØche zu
verwickeln, aber, so sehr mir auch vor Entsetzen das Herz im Halse schlug,
ich verriet mich nicht und kam immer wieder darauf zurØck, dañ ich den Namen
Savioli nie gehÃrt hÄtte, mit Angelina von meinem Vater her befreundet sei,
und dañ sie schon Ãfter Kameen bei mir bestellt habe.
Ich fØhlte trotzdem genau, dañ der Polizeirat mir ansah, wie ich ihn
belog, und innerlich schÄumte vor Wut, nichts aus mir herausbekommen zu
kÃnnen.
Er dachte eine Weile nach, dann zog er mich am Rock dicht an sich,
deutete warnend mit dem Daumen auf den linken Schreibtisch und flØsterte mir
ins Ohr:
"Athanasius! Ihr seliger Vater war mein bester Freund. Ich will Sie
retten, Athanasius! Aber Sie mØssen mir alles sagen Øber die GrÄfin. - HÃren
Sie: alles."
Ich begriff nicht, was das bedeuten sollte. "Was meinen Sie damit: Sie
wollen mich retten?", fragte ich laut.
Der Klumpfuñ stampfte Ärgerlich auf den Boden. Der Polizeirat wurde
aschgrau im Gesicht vor Hañ. Zog die Lippe empor. Wartete. - Ich wuñte, dañ
er gleich wieder losspringen wØrde; (sein VerblØffungssystem erinnerte mich
an Wassertrum) und wartete ebenfalls, - sah, dañ ein Bocksgesicht, der
Inhaber des Klumpfuñes, lauernd hinter dem Schreibpulte auftauchte - - dann
schrie mich der Polizeirat plÃtzlich gellend an:
"MÃrder".
Ich war sprachlos vor VerblØffung.
Miñmutig zog sich das Bocksgesicht wieder hinter sein Pult zurØck.
Auch der Herr Polizeirat schien ziemlich betreten Øber meine Ruhe,
versteckte es aber geschickt, indem er einen Stuhl herbeizog und mich
aufforderte, Platz zu nehmen.
"Sie verweigern also, Øber die GrÄfin die von mir gewØnschte Auskunft
zu geben, Herr Pernath?"
"Ich kann sie nicht geben, Herr Polizeirat, wenigstens nicht in dem
Sinne, wie Sie erwarten. Erstens kenne ich niemand namens Savioli, und dann
bin ich felsenfest Øberzeugt, dañ es eine Verleumdung ist, wenn man der
GrÄfin nachsagt, sie hintergehe ihren Gatten."
"Sind Sie bereit, das zu beeiden?"
Mir stockte der Atem. "Ja! Jederzeit."
"Gut. Hm."
Eine lÄngere Pause entstand, wÄhrend der Polizeirat angestrengt
nachzugrØbeln schien.
Als er mich wieder anblickte, lag ein komÃdiantenhafter Zug von
Schmerzlichkeit in seiner Fratze. UnwillkØrlich muñte ich an Charousek
denken, wie er dann mit trÄnenerstickter Stimme anfing:
"Mir kÃnnen Sie es doch sagen, Athanasius, - mir, dem alten Freund
Ihres Vaters - mir, der Sie auf den Armen getragen hat -" ich konnte das
Lachen kaum verbeiñen: er war hÃchstens zehn Jahre Älter als ich - "nicht
wahr, Athanasius, es war Notwehr?"
Das Bocksgesicht erschien abermals.
"Was war Notwehr?", fragte ich verstÄndnislos.
"Das mit dem - - - Zottmann!" schrie mir der Polizeirat einen Namen ins
Gesicht.
Das Wort traf mich wie ein Dolchstich: Zottmann! Zottmann! Die Uhr! Der
Name Zottmann stand doch in der Uhr eingraviert.
Ich fØhlte, wie mir alles Blut zum Herzen strÃmte: Der grauenhafte
Wassertrum hatte mir die Uhr gegeben, um den Verdacht des Mordes auf mich zu
lenken.
Sofort warf der Polizeirat die Maske ab, fletschte die ZÄhne und kniff
die Augen zusammen:
"Sie gestehen also den Mord ein, Pernath?"
"Das ist alles ein Irrtum. Ein entsetzlicher Irrtum. Um Gottes willen
hÃren Sie mich an. Ich kann es Ihnen erklÄren, Herr Polizeirat - -!", schrie
ich.
"Werden Sie mir jetzt alles mitteilen in bezug auf die Frau GrÄfin",
unterbrach er mich rasch: "ich mache Sie aufmerksam: Sie verbessern Ihre
Lage damit."
"Ich kann nicht mehr sagen, als bereits geschehen ist: die GrÄfin ist
unschuldig."
Er biñ die ZÄhne zusammen und wandte sich an das Bocksgesicht:
"Schreiben Sie: - Also, Pernath gesteht den Mord an dem
Versicherungsbeamten Karl Zottmann ein."
Mich packte eine besinnungslose Wut.
"Sie Polizeikanaille!" brØllte ich los, "was unterstehen Sie sich?!"
Ich suchte nach einem schweren Gegenstand.
Im nÄchsten Augenblick hatten mich zwei Schutzleute gepackt und mir
Handschellen angelegt.
Der Polizeirat blÄhte sich jetzt wie der Hahn auf dem Mist:
"Und die Uhr da?", - er hielt plÃtzlich die verbeulte Uhr in der Hand,
- "hat der unglØckliche Zottmann noch gelebt, als Sie ihn beraubten, oder
nicht?"
Ich war wieder ganz ruhig geworden und gab mit klarer Stimme zu
Protokoll: "Die Uhr hat mir heute vormittag der TrÃdler Aaron Wassertrum -
geschenkt."
Ein wieherndes GelÄchter brach los, und ich sah, wie der Klumpfuñ und
der Filzpantoffel mitsammen einen Freudentanz unter dem Schreibtisch
auffØhrten.
Qual
Die HÄnde gefesselt, hinter mir ein Gendarm mit aufgepflanztem
Bajonett, muñte ich durch die abendlich beleuchteten Strañen gehen.
Gassenjungen zogen in Scharen johlend links und rechts mit, Weiber
rissen die Fenster auf, drohten mit KochlÃffeln herunter und schimpften
hinter mir drein.
Schon von weitem sah ich den massigen SteinwØrfel des GerichtsgebÄudes
mit der Inschrift auf dem Giebel herannahen:
"Die strafende Gerechtigkeit ist die Beschirmung aller Braven."
Dann nahm mich ein riesiges Tor auf und ein Flurzimmer, in dem es nach
KØche stank.
Ein vollbÄrtiger Mann mit SÄbel, Beamtenrock und -mØtze, barfuñ und die
Beine in langen, um die KnÃchel zusammengebundenen Unterhosen, stand auf,
stellte die KaffeemØhle, die er zwischen den Knien hielt, weg und befahl
mir, mich auszuziehen.
Dann visitierte er meine Taschen, nahm alles heraus, was er darin fand,
und fragte mich, ob ich - Wanzen hÄtte.
Als ich verneinte, zog er mir die Ringe von den Fingern und sagte, es
sei gut, ich kÃnnte mich wieder ankleiden.
Man fØhrte mich mehrere Stockwerke hinauf und durch GÄnge, in denen
vereinzelt groñe, graue, verschlieñbare Kisten in den Fensternischen
standen.
Eiserne TØren mit Riegelstangen und kleinen, vergitterten Ausschnitten,
Øber jedem eine Gasflamme, zogen sich in ununterbrochener Reihe die Wand
entlang.
Ein hØnenhafter, soldatisch aussehender GefangenwÄrter - das erste
ehrliche Gesicht seit Stunden - sperrte eine der TØren auf, schob mich in
eine dunkle, schrankartige, pestilenzialisch stinkende ãffnung und schloñ
hinter mir ab.
Ich stand in vollkommener Finsternis und tappte mich zurecht.
Mein Knie stieñ an einen BlechkØbel.
Endlich erwischte ich - der Raum war so eng, dañ ich mich kaum umdrehen
konnte - eine Klinke, und stand in - einer Zelle.
Je zwei und zwei Pritschen mit StrohsÄcken an den Mauern.
Der Durchgang dazwischen nur einen Schritt breit.
Ein Quadratmeter Gitterfenster hoch oben in der Querwand lieñ den
matten Schein des Nachthimmels herein.
UnertrÄgliche Hitze, vom Geruch alter Kleider verpestete Luft erfØllte
den Raum.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewÃhnt hatten, sah ich, dañ auf
drei der Pritschen - die vierte war leer - Menschen in grauen
StrÄflingskleidern sañen; die Arme auf die Knie gestØtzt und die Gesichter
in den HÄnden vergraben.
Keiner sprach ein Wort.
Ich setzte mich auf das leere Bett und wartete. Wartete. Wartete.
Eine Stunde.
Zwei - drei Stunden!
Wenn ich drauñen einen Schritt zu hÃren glaubte, fuhr ich auf:
Jetzt, jetzt kam man mich holen, um mich dem Untersuchungsrichter
vorzufØhren.
Jedesmal war es eine TÄuschung gewesen. Immer wieder verloren sich die
Schritte auf dem Gang.
Ich riñ mir den Kragen auf - glaubte, ersticken zu mØssen.
Ich hÃrte, wie ein Gefangener nach dem andern sich Ächzend ausstreckte.
"Kann man denn das Fenster da oben nicht aufmachen?", fragte ich voll
Verzweiflung laut in die Dunkelheit hinein. Ich erschrak fast vor meiner
eigenen Stimme.
"Es geht net", antwortete es mØrrisch von einem der StrohsÄcke herØber.
Ich tastete trotzdem mit der Hand an der Schmalwand entlang: ein Brett
in BrusthÃhe lief quer hin - - - zwei WasserkrØge - - - StØcke von
Brotrinden.
MØhsam kletterte ich hinauf, hielt mich an den GitterstÄben und preñte
das Gesicht an die Fensterritzen, um wenigstens etwas frische Luft zu atmen.
So stand ich, bis mir die Knie zitterten. EintÃniger, schwarzgrauer
Nachtnebel vor meinen Augen.
Die kalten EisenstÄbe schwitzten.
Es muñte bald Mitternacht sein.
Hinter mir hÃrte ich schnarchen. Nur einer schien nicht schlafen zu
kÃnnen: er warf sich hin und her auf dem Stroh und stÃhnte manchmal halblaut
auf.
Wollte denn der Morgen nicht endlich kommen?! Da! Es schlug wieder.
Ich zÄhlte mit bebenden Lippen:
Eins, zwei, drei! - Gott sei Dank, nur noch wenige Stunden, dann muñte
die DÄmmerung kommen. Es schlug weiter:
Vier? fØnf? - Der Schweiñ trat mir auf die Stirn. - Sechs!! - Sieben -
- - es war elf Uhr.
Erst eine Stunde war vergangen, seit ich das letzte Mal hatte schlagen
hÃren.
AllmÄhlich legten sich meine Gedanken zurecht:
Wassertrum hat mir die Uhr des vermiñten Zottmann zugespielt, um mich
in Verdacht zu bringen, einen Mord begangen zu haben. - Er muñte also selbst
der MÃrder sein; wie hÄtte er sonst in den Besitz der Uhr kommen kÃnnen?
WØrde er die Leiche irgendwo gefunden und dann erst beraubt haben, hÄtte er
sich bestimmt die tausend Gulden Belohnung geholt, die fØr die Entdeckung
des Vermiñten Ãffentlich ausgesetzt waren. - Das konnte aber nicht sein: die
Plakate klebten noch immer an den Strañenecken, wie ich deutlich auf meinem
Weg ins GefÄngnis gesehen hatte. - - -
Dañ der TrÃdler mich angezeigt haben muñte, war klar.
Ebenso: dañ er mit dem Polizeirat, wenigstens was Angelina betraf,
unter einer Decke steckte. Wozu sonst das VerhÃr wegen Savioli?
Andererseits ging daraus hervor, dañ Wassertrum Angelinas Briefe noch
nicht in HÄnden hatte.
Ich grØbelte nach - - -
Mit einem Schlag stand alles mit entsetzlicher Deutlichkeit vor mir,
als wÄre ich selbst dabei gewesen.
Ja; nur so konnte es sein: Wassertrum hatte meine eiserne Kassette, in
der er Beweise vermutete, heimlich an sich genommen, als er gerade mit
seinen Polizeikomplizen meine Wohnung durchstÃberte, - konnte sie nicht
sogleich Ãffnen, da ich den SchlØssel bei mir trug, und war - - - vielleicht
gerade jetzt daran, sie in seiner HÃhle aufzubrechen.
In wahnsinniger Verzweiflung rØttelte ich an den GitterstÄben, sah
Wassertrum im Geiste vor mir, wie er in Angelinas Briefen wØhlte -
Wenn ich nur Charousek benachrichtigen kÃnnte, dañ er Savioli
wenigstens rechtzeitig warnen ging!
Einen Augenblick klammerte ich mich an die Hoffnung, meine Verhaftung
mØsse bereits wie ein Lauffeuer in der Judenstadt bekannt geworden sein, und
ich vertraute auf Charousek wie auf einen rettenden Engel. Gegen seine
infernalische Schlauheit kam der TrÃdler nicht auf; "Ich werde ihn genau in
der Stunde an der Gurgel haben, in der er Dr. Savioli an den Hals will",
hatte Charousek schon einmal gesagt.
In der nÄchsten Minute wieder verwarf ich alles, und eine wilde Angst
packte mich: Wie, wenn Charousek zu spÄt kam?
Dann war Angelina verloren. - - -
Ich biñ mir die Lippen blutig und zerkrallte mir die Brust aus Reue,
dañ ich die Briefe damals nicht sofort verbrannt hatte; - - - ich schwor es
mir zu, Wassertrum noch in derselben Stunde aus der Welt zu schaffen, wo ich
wieder auf freiem Fuñ sein wØrde.
Ob ich von eigener Hand starb oder am Galgen - was lag mir daran!
Dañ der Untersuchungsrichter meinen Worten glauben wØrde, wenn ich ihm
die Geschichte mit der Uhr plausibel machte, ihm von Wassertrums Drohungen
erzÄhlte, - keinen Augenblick zweifelte ich daran.
Bestimmt morgen schon muñte ich frei sein; zumindest wØrde das Gericht
auch Wassertrum wegen Mordverdachts verhaften lassen.
Ich zÄhlte die Stunden und betete, dañ sie rascher vergehen mÃchten;
starrte hinaus in den schwÄrzlichen Dunst.
Nach unsÄglich langer Zeit fing es endlich an, heller zu werden, und
zuerst wie ein dunkler Fleck, dann immer deutlicher, tauchte ein kupfernes,
riesiges Gesicht aus dem Nebel: das Zifferblatt einer alten Turmuhr. Doch
die Zeiger fehlten; - neuerliche Qual.
Dann schlug es fØnf.
Ich hÃrte, wie die Gefangenen erwachten und gÄhnend eine Unterhaltung
in bÃhmischer Sprache fØhrten.
Eine Stimme kam mir bekannt vor; ich drehte mich um, stieg von dem
Brett herunter und - sah den blatternarbigen Loisa auf der Pritsche,
gegenØber der meinigen, sitzen und mich verwundert anstarren.
Die beiden anderen waren Gesellen mit verwegenen Gesichtern und
musterten mich geringschÄtzig.
"Defraudant? Was?", fragte der eine halblaut seinen Kameraden und stieñ
ihn mit dem Ellenbogen an.
Der Gefragte brummte irgend etwas verÄchtlich, kramte in seinem
Strohsack, holte ein schwarzes Papier hervor und legte es auf den Boden.
Dann schØttete er aus dem Krug ein wenig Wasser darauf, kniete nieder,
bespiegelte sich darin und kÄmmte sich mit den Fingern das Haar in die
Stirn.
Hierauf trocknete er das Papier mit zÄrtlicher Sorgfalt ab und
versteckte es wieder unter der Pritsche.
"Pan Pernath, Pan Pernath", murmelte Loisa dabei bestÄndig mit
aufgerissenen Augen vor sich hin, wie jemand, der ein Gespenst sieht.
"Die Herrschaften kennen einand, wie ich bemerkÃ", sagte der
UngekÄmmte, dem dies auffiel, in dem geschraubten Dialekt eines
tschechischen Wieners und machte mir spÃttisch eine halbe Verbeugung:
"Erlaubens mich vorzustellen: VÕssatka ist mein Name. Der schwarze VÕssatka.
- Brandstiftung", setzte er eine Oktave tiefer stolz hinzu.
Der Frisierte spuckte zwischen den ZÄhnen durch, blickte mich eine
Weile verÄchtlich an, deutete sich dann auf die Brust und sagte lakonisch:
"Einbruch."
Ich schwieg.
"No, und zweng wos fØr einen Verdachtà sin Sie hier, Herr Graf?" fragte
der Wiener nach einer Pause.
Ich Øberlegte einen Moment, dann sagte ich ruhig: "Wegen Raubmord".
Die beiden fuhren verblØfft auf, der spÃttische Ausdruck auf ihren
Gesichtern machte einer Miene grenzenloser Hochachtung Platz, und sie riefen
fast wie aus einem Munde:
"RÄschpÄkt, RÄschpÄkt."
Als sie sahen, dañ ich keine Notiz von ihnen nahm, zogen sie sich in
die Ecke zurØck und unterhielten sich flØsternd miteinander.
Nur einmal stand der Frisierte auf, kam zu mir, prØfte schweigend die
Muskeln meines Oberarms und ging dann kopfschØttelnd zu seinem Freund
zurØck.
"Sie sind doch auch unter dem Verdacht hier, den Zottmann ermordet zu
haben?" fragte ich Loisa unauffÄllig.
Er nickte. "Ja, schon lang."
Wieder vergingen einige Stunden.
Ich schloñ die Augen und stellte mich schlafend.
"Herr Pernath. Herr Pernath!" hÃrte ich plÃtzlich ganz leise Loisas
Stimme.
"Ja?" - - - Ich tat, als erwachte ich.
"Herr Pernath?, bitte entschuldigen Sie, - bitte - bitte, wissen Sie
nicht, was die Rosina macht? - Ist sie zu Hause?", stotterte der arme
Bursche. Er tat mir unendlich leid, wie er mit seinen entzØndeten Augen an
meinen Lippen hing und vor Aufregung die HÄnde verkrampfte.
"Es geht ihr gut. Sie - sie ist jetzt Kellnerin beim - - alten Ungelt",
log ich.
Ich sah, wie er erleichtert aufatmete.
Zwei StrÄflinge hatten auf einem Brett BlechtÃpfe mit heiñem Wurstabsud
stumm hereingebracht und drei davon in die Zelle gestellt, dann knallten
nach einigen Stunden abermals die Riegel und der Aufseher fØhrte mich zum
Untersuchungsrichter.
Mir schlotterten die Knie vor Erwartung, wie wir treppauf, treppab
schritten.
"Glauben Sie, ist es mÃglich, dañ ich heute noch freigelassen werde?",
fragte ich den Aufseher beklommen.
Ich sah, wie er mitleidig ein LÄcheln unterdrØckte. "Hm. Heute noch? Hm
- - Gott, - mÃglich ist ja alles." -
Mir wurde eiskalt.
Wieder las ich eine Porzellantafel an einer TØr und einen Namen:
KARL FREIHERR VON LEISETRETER
Untersuchungsrichter
Wieder ein schmuckloses Zimmer und zwei Schreibpulte mit meterhohen
AufsÄtzen.
Ein alter, groñer Mann mit weiñem, geteiltem Vollbart, schwarzem
Gehrock, roten, wulstigen Lippen, knarrenden Stiefeln.
"Sie sind Herr Pernath?"
"Jawohl."
"Gemmenschneider?"
"Jawohl."
"Zelle Nr. 70?"
"Jawohl."
"Des Mordes an Zottmann verdÄchtig?"
"Ich bitte, Herr Untersuchungsrichter - -"
"Des Mordes an Zottmann verdÄchtig?"
"Wahrscheinlich. Wenigstens vermute ich es. Aber - -"
"GestÄndig?"
"Was soll ich denn gestehen, Herr Untersuchungsrichter, ich bin doch
unschuldig!"
"GestÄndig?"
"Nein."
"Dann verhÄnge ich Untersuchungshaft Øber Sie. - FØhren Sie den Mann
hinaus, GefangenwÄrter."
"Bitte, so hÃren Sie mich doch an, Herr Untersuchungsrichter, - ich muñ
unbedingt heute noch zu Hause sein. Ich habe wichtige Dinge zu veranlassen -
-"
Hinter dem zweiten Schreibtisch meckerte jemand.
Der Herr Baron schmunzelte. -
"FØhren Sie den Mann hinaus, GefangenwÄrter."
Tag um Tag schlich dahin, Woche um Woche, und immer noch sañ ich in der
Zelle.
Um zwÃlf Uhr durften wir tÄglich hinunter in den GefÄngnishof und mit
anderen Untersuchungsgefangenen und StrÄflingen zu zweit 40 Minuten im Kreis
herumgehen auf der nassen Erde.
Miteinander zu reden, war verboten.
In der Mitte des Platzes stand ein kahler, sterbender Baum, in dessen
Rinde ein ovales Glasbild der Muttergottes eingewachsen war.
An den Mauern wuchsen kØmmerliche Ligusterstauden, die BlÄtter fast
schwarz vom fallenden Ruñ.
Ringsum die Gitter der Zellen, aus denen zuweilen ein kittgraues
Gesicht mit blutleeren Lippen herunterschaute.
Dann ging's wieder hinauf in die gewohnten GrØfte zu Brot, Wasser und
Wurstabsud und sonntags zu faulenden Linsen.
Erst einmal war ich wieder vernommen worden:
Ob ich Zeugen hÄtte, dañ mir "Herr" Wassertrum angeblich die Uhr
geschenkt habe?
"Ja: Herrn Schemajah Hillel - - das heiñt - nein" (ich erinnerte mich,
er war nicht dabei gewesen) - - "aber Herr Charousek" - (nein, auch er war
ja nicht dabei).
"Kurz: also niemand war dabei?"
"Nein, niemand war dabei, Herr Untersuchungsrichter."
Wieder das Gemecker hinter dem Schreibtisch und wieder das:
"FØhren Sie den Mann hinaus, GefangenwÄrter!" - - -
Meine Besorgnis um Angelina war einer dumpfen Resignation gewichen: Der
Zeitpunkt, wo ich um sie zittern muñte, war vorØber. Entweder Wassertrums
Racheplan war lÄngst geglØckt, oder Charousek hatte eingegriffen, sagte ich
mir.
Aber die Sorge um Mirjam trieb mich jetzt fast zum Wahnsinn.
Ich stellte mir vor, wie sie Stunde um Stunde darauf wartete, dañ sich
das Wunder erneuere, - wie sie frØh am Morgen, wenn der BÄcker kam,
hinauslief und mit bebenden HÄnden das Brot untersuchte, - wie sie
vielleicht um meinetwillen vor Angst verging.
Oft in der Nacht peitschte es mich aus dem Schlaf, und ich stieg auf
das Wandbrett und starrte empor zu dem kupfernen Gesicht der Turmuhr und
verzehrte mich in dem Wunsch, meine Gedanken mÃchten zu Hillel dringen und
ihm ins Ohr schreien, er solle Mirjam helfen und sie erlÃsen von der Qual
des Hoffens auf ein Wunder.
Dann wieder warf ich mich auf das Stroh und hielt den Atem an, bis mir
die Brust fast zersprang, - um das Bild meines DoppelgÄngers vor mich zu
zwingen, damit ich ihn zu ihr schicken kÃnnte als einen Trost.
Und einmal war er auch erschienen neben meinem Lager mit den
Buchstaben: Chabrat Zereh Aur Bocher in Spiegelschrift auf der Brust, und
ich wollte aufschreien vor Jubel, dañ jetzt alles wieder gut wØrde, aber er
war in den Boden versunken, noch ehe ich ihm den Befehl geben konnte, Mirjam
zu erscheinen. - - -
Dañ ich so gar keine Nachricht bekam von meinen Freunden!
Ob es denn verboten sei, einem Briefe zu schicken? fragte ich meine
Zellengenossen.
Sie wuñten es nicht.
Sie hÄtten noch nie welche bekommen - allerdings wÄre auch niemand da,
der ihnen schreiben kÃnnte, sagten sie.
Der GefangenwÄrter versprach mir, sich gelegentlich zu erkundigen.
Meine NÄgel waren rissig geworden vom Abbeiñen und mein Haar
verwildert, denn Schere, Kamm und BØrste gab es nicht.
Auch kein Wasser zum Waschen.
Fast ununterbrochen kÄmpfte ich mit Brechreiz, denn der Wurstabsud war
mit Soda gewØrzt statt mit Salz. - - Eine GefÄngnisvorschrift, um dem
"øberhandnehmen des Geschlechtstriebs vorzubeugen."
Die Zeit verging in grauer, furchtbarer EintÃnigkeit.
Drehte sich wie im Kreis wie ein Rad der Qual.
Da gab es die gewissen Momente, die jeder von uns kannte, wo plÃtzlich
einer oder der andere aufsprang und stundenlang auf und nieder lief wie ein
wildes Tier, um sich dann wieder gebrochen auf die Pritsche fallen zu lassen
und stumpfsinnig weiter zu warten - zu warten - zu warten.
Wenn der Abend kam, zogen die Wanzen in Scharen gleich Ameisen Øber die
WÄnde und ich fragte mich erstaunt, warum denn der Kerl in SÄbel und
Unterhosen mich so gewissenhaft ausgeforscht habe, ob ich kein Ungeziefer
hÄtte.
FØrchtete man vielleicht im Landesgericht, es kÃnne eine Kreuzung
fremder Insektenrassen entstehen?
Mittwoch vormittags kam gewÃhnlich ein Schweinskopf herein mit
Schlapphut und zuckenden Hosenbeinen: der GefÄngnisarzt Dr. Rosenblatt, und
Øberzeugte sich, dañ alle vor Gesundheit strotzten.
Und wenn einer sich beschwerte, gleichgØltig worØber, so verschrieb er
- Zinksalbe zum Einreiben der Brust.
Einmal kam auch der LandgerichtsprÄsident mit - ein hochgewachsener,
parfØmierter Halunke der "guten Gesellschaft", dem die gemeinsten Laster im
Gesicht geschrieben standen, und sah nach, ob - alles in Ordnung sei: "ob
sich noch immer kaner derhenkt hobe", wie sich der Frisierte ausdrØckte.
Ich war auf ihn zugetreten, um ihm eine Bitte vorzutragen, da hatte er
einen Satz hinter den GefangenwÄrter gemacht und mir einen Revolver
vorgehalten. - "Was ich denn wolle", schrie er mich an.
Ob Briefe fØr mich da seien, fragte ich hÃflich. Statt der Antwort
bekam ich einen Stoñ vor die Brust vom Herrn Dr. Rosenblatt, der gleich
darauf das Weite suchte. Auch der Herr PrÄsident zog sich zurØck und hÃhnte
durch den TØrausschnitt: - ich solle lieber den Mord gestehen. Eher bekÄme
ich in diesem Leben keine Briefe.
Ich hatte mich lÄngst an die schlechte Luft und die Hitze gewÃhnt und
frÃstelte bestÄndig. Selbst, wenn die Sonne schien.
Zwei der Gefangenen hatten schon einige Male gewechselt, aber ich
achtete nicht darauf. Diese Woche waren es ein Taschendieb und ein
Wegelagerer, das nÄchste Mal ein FalschmØnzer oder ein Hehler, die
hereingefØhrt wurden.
Was ich gestern erlebte, war heute vergessen.
Gegen das WØhlen der Sorge um Mirjam verblañten alle Äuñeren
Begebenheiten.
Nur ein Ereignis hatte sich mir tiefer eingeprÄgt - es verfolgte mich
zuweilen als Zerrbild bis in den Traum:
Ich hatte auf dem Wandbrett gestanden, um hinauf in den Himmel zu
starren, da fØhlte ich plÃtzlich, dañ mich ein spitzer Gegenstand in die
HØfte stach, und als ich nachsah, bemerkte ich, dañ es die Feile gewesen
war, die sich mir durch die Tasche zwischen Rock und Futter gebohrt hatte.
Sie muñte schon lange dort gesteckt haben, sonst hÄtte sie der Mann in der
Flurstube gewiñ bemerkt.
Ich zog sie heraus und warf sie achtlos auf meinen Strohsack.
Als ich dann herunterstieg, war sie verschwunden, und ich zweifelte
keinen Augenblick, dañ nur Loisa sie genommen haben konnte.
Einige Tage spÄter holte man ihn aus der Zelle, um ihn einen Stock
tiefer unterzubringen.
Es dØrfe nicht sein, dañ zwei Untersuchungsgefangene, die desselben
Verbrechens beschuldigt wÄren, wie er und ich, in der gleichen Zelle sÄñen,
hatte der GefangenwÄrter gesagt.
Aus ganzem Herzen wØnschte ich, es mÃchte dem armen Burschen gelingen,
sich mit Hilfe der Feile zu befreien.
Mai
Auf meine Frage, welches Datum denn wÄre - die Sonne schien so warm wie
im Hochsommer und der mØde Baum im Hof trieb ein paar Knospen - hatte der
GefangenwÄrter zuerst geschwiegen, dann aber mir zugeflØstert, es sei der
15. Mai. Eigentlich dØrfe er es nicht sagen, denn es sei verboten, mit den
Gefangenen zu sprechen, - insbesondere solche, die noch nicht gestanden
hÄtten, mØñten hinsichtlich der Zeit im unklaren gehalten werden.
Drei volle Monate war ich also schon im GefÄngnis und noch immer keine
Nachricht aus der Welt da drauñen!
Wenn es Abend wurde, drangen leise KlÄnge eines Klaviers durch das
Gitterfenster, das jetzt an warmen Tagen offen war.
Die Tochter des Beschlieñers unten spiele, hatte mir ein StrÄfling
gesagt.
Tag und Nacht trÄumte ich von Mirjam.
Wie es ihr wohl ging?!
Zuzeiten hatte ich das trÃstliche GefØhl, als seien meine Gedanken zu
ihr gedrungen und stØnden an ihrem Bette, wÄhrend sie schlief, und legten
ihr lindernd die Hand auf die Stirne.
Dann wieder, in Momenten der Hoffnungslosigkeit, wenn einer nach dem
andern meiner Zellengenossen zum VerhÃr gefuhrt wurde, - nur ich nicht, -
drosselte mich eine dumpfe Furcht, sie sei vielleicht schon lange tot.
Da stellte ich dann Fragen an das Schicksal, ob sie noch lebe oder
nicht, krank sei oder gesund, und die Anzahl einer Handvoll Halme, die ich
aus dem Strohsack riñ, sollte mir Antwort geben.
Und fast jedesmal "ging es schlecht aus", und ich wØhlte in meinem
Innern nach einem Blick in die Zukunft; - suchte meine Seele, die mir das
Geheimnis verbarg, zu Øberlisten durch die scheinbar abseits liegende Frage,
ob wohl fØr mich dereinst noch ein Tag kommen wØrde, wo ich heiter sein und
wieder lachen kÃnnte.
Immer bejahte das Orakel in solchen FÄllen, und dann war ich eine
Stunde lang glØcklich und froh.
Wie eine Pflanze heimlich wÄchst und sproñt, war allmÄhlich in mir eine
unbegreifliche, tiefe Liebe zu Mirjam erwacht, und ich fañte es nicht, dañ
ich so oft hatte bei ihr sitzen und mit ihr reden kÃnnen, ohne mir damals
schon klar darØber geworden zu sein.
Der zitternde Wunsch, dañ auch sie mit gleichen GefØhlen an mich denken
mÃchte, steigerte sich in solchen Augenblicken oft bis zur Ahnung der
Gewiñheit, und wenn ich dann auf dem Gange drauñen einen Schritt hÃrte,
fØrchtete ich mich beinahe davor, man kÃnnte mich holen und freilassen und
mein Traum wØrde in der groben Wirklichkeit der Auñenwelt in nichts
zerrinnen.
Mein Ohr war in der langen Zeit der Haft so scharf geworden, dañ ich
auch das leiseste GerÄusch vernahm.
Jedesmal bei Anbruch der Nacht hÃrte ich in der Ferne einen Wagen
fahren und zergrØbelte mir den Kopf, wer wohl dann sitzen mÃchte.
Es lag etwas seltsam Fremdartiges in dem Gedanken, dañ es Menschen gab
da drauñen, die tun und lassen durften, was sie wollten, - die sich frei
bewegen konnten und da und dort hingehen, und es dennoch nicht als
unbeschreiblichen Jubel empfanden.
Dañ auch ich jemals wieder so glØcklich werden wØrde, im Sonnenschein
durch die Strañen wandern zu kÃnnen; - - ich war nicht mehr imstande, es mir
vorzustellen.
Der Tag, an dem ich Angelina in den Armen gehalten, schien mir einem
lÄngstverflossenen Dasein anzugehÃren; - ich dachte daran zurØck mit jener
leisen Wehmut, wie sie einen beschleicht, wenn man ein Buch aufschlÄgt und
findet dann welke Blumen, die einst die Geliebte der Jugendjahre getragen
hat.
Ob wohl der alte Zwakh noch immer Abend fØr Abend mit Vrieslander und
Prokop beim "Ungelt" sañ und der vertrockneten Eulalia das Hirn konfus
machte?
Nein, es war doch Mai: - die Zeit, wo er mit seinem Marionettenkasten
durch die Provinznester zog und auf grØnen Wiesen vor den Toren den Ritter
Blaubart spielte.
Ich sañ allein in der Zelle. - VÕssatka, der Brandstifter, mein
einziger GefÄhrte seit einer Woche, war vor ein paar Stunden zum
Untersuchungsrichter geholt worden.
MerkwØrdig lange dauerte diesmal sein VerhÃr.
Da. Die eiserne Vorlegestange klirrte an der TØr. Und mit
freudestrahlender Miene stØrmte VÕssatka herein, warf ein BØndel Kleider auf
die Pritsche und begann, sich mit Windeseile umzukleiden.
Den StrÄflingsanzug warf er StØck fØr StØck mit einem Fluch auf den
Boden.
"Nix hamms mer beweisen kÃnna, dà Hallodri. - Brandstiftung! - Ja doder
-" er zog mit dem Zeigefinger an seinem unteren Augenlid. "Auf den schwarzen
VÕssatka sans jung. - Der Wind war's, hab i g'sagt. Und bi fest blimm. Den
kennens iazt eispirrn, wanns'n derwischen - den Herrn von Wind. - No servus
heit abend! - Do werd aufdraht. Beim Loisitschek." - Er breitete die Arme
aus und tanzte einen "G'strampften". - "Nur einmahl im LebÃhn blie-het der
Mai." Er stØlpte sich mit einem Krach einen steifen Deckel mit einer kleinen
blaugesprenkelten NuñhÄherfeder darauf Øber den SchÄdel. - "Ja, richtig, das
wird Ihna intrissirn, Herr Graf: wissens was Neies? Eana Freund, der Loisa,
is ausbrochen! - Grad hab i's erfahrehn oben bei die Hallodri. Schon vurigen
Monat - gegen Uldimoh hat er das Weide gesucht und ist lÄngst ieber -
pbhuit" - er schlug sich mit den Fingern auf den HandrØcken - "ieber alle
BergÃh." -
"Aha, die Feile", dachte ich mir und lÄchelte.
"Alsdann haltens Ihna jetzt auch bald dazu, Herr Graf," der
Brandstifter streckte mir kameradschaftlich die Hand hin, "dañ Sie mÃglichst
bei ZeitÃhn freikommen. - Und wenn Sie mal kein Geld nicht habehn, fragen
Sie sich nur beim Loisitschek nach dem schwarzen VÕssatka. - Kennte mich
jedes MÄdel durten. So! - Alsdann Servus, Herr Graf. War mir ein
Vergniegen."
Er stand noch in der TØre, da schob der WÄrter schon einen neuen
Untersuchungsgefangenen in die Zelle.
Auf den ersten Blick erkannte ich in ihm den Schlot mit der
SoldatenmØtze, der einmal neben mir bei Regenwetter in dem Torbogen der
Hahnpañgasse gestanden hatte. Eine freudige øberraschung! Vielleicht wuñte
er zufÄllig etwas Øber Hillel und Zwakh und alle die andern?
Ich wollte sofort anfangen, ihn auszufragen, aber zu meinem grÃñten
Erstaunen legte er mit geheimnisvoller Miene den Finger an den Mund und
bedeutete mir, ich solle schweigen.
Erst als die TØr von auñen abgesperrt und der Schritt des
GefangenwÄrters auf dem Gange verhallt war, kam Leben in ihn.
Mir schlug das Herz vor Aufregung.
Was sollte das bedeuten?
Kannte er mich denn, und was wollte er?
Das erste, was der Schlot tat, war, dañ er sich niedersetzte und seinen
linken Stiefel auszog.
Dann zerrte er mit den ZÄhnen einen StÃpsel aus dem Absatz, entnahm dem
entstandenen Hohlraum ein kleines gebogenes Eisenblech, riñ die anscheinend
nur locker befestigte Schuhsohle ab und reichte mir beides mit stolzer Miene
hin. -
Alles in Windeseile und ohne auf meine erregten Fragen auch nur im
geringsten zu achten.
"So! Einen schÃnen Gruñ vom Herrn Charousek."
Ich war so verblØfft, dañ ich kein Wort herausbringen konnte. -
"Brauchens' bloñ Eisenblechl nÄhmen und Sohlen ausanand brechen in der
Nacht. Oder wann sunst niemand siecht. - Ise nÄmlich hohl inewÄndig" -
erklÄrte der Schlot mit Øberlegener Miene, "und finden Sie sich drinn eine
Brieffel von Herrn Charousek."
Im øbermañ meines EntzØckens fiel ich dem Schlot um den Hals, und die
TrÄnen stØrzten mir aus den Augen.
Er wehrte mich voll Milde ab und sagte vorwurfsvoll:
"Missen sich mehr zusammennÄhmen, Herr von Pernath! Mir habens me nicht
eine Minutten zum Zeitverlieren. Es kann sich soffort herauskommen, dañ ich
in der falschen Zellen bin. Der Franzl und ich habens me unt beim PordjÃh
die Nummern mitsamm vertauscht." -
Ich muñte wohl ein sehr dummes Gesicht gemacht haben, denn der Schlot
fuhr fort:
"Wann Sie das auch nicht verstÄhn, macht nix. Kurz: ich bin hier,
Pasta!"
"Sagen Sie doch," fiel ich ihm ins Wort, "sagen Sie doch, Herr - - Herr
- - -"
"Wenzel," - half mir der Schlot aus, "ich heiñe der schÃne Wenzel."
"Sagen Sie mir doch, Wenzel, was macht der Archivar Hillel, und wie
geht es seiner Tochter?"
"Dazu ist jetz keine Zeit nicht", unterbrach mich der schÃne Wenzel
ungeduldig. "Ich kann ich doch im nÄxen Augenblick herausgeschmissen werden.
- Also: ich bin ich hier, weil ich einen Raubanfall extra eingestanden hab -
-"
"Was, Sie haben bloñ meinetwegen, und um zu mir kommen zu kÃnnen, einen
Raubanfall begangen, Wenzel?" fragte ich erschØttert.
Der Schlot schØttelte verÄchtlich den Kopf: "Wenn ich wirklich einen
Raub anf all begangen hÄtt, mecht ich ihm doch nicht eingestÄhen. Was
glauben Sie von mir!?"
Ich verstand allmÄhlich: - der brave Kerl hatte eine List gebraucht, um
mir den Brief Charouseks ins GefÄngnis zu schmuggeln.
"So; zuverderscht" - er machte ein Äuñerst wichtiges Gesicht - "muñ ich
Ihnen Unterricht in der Ebilebsie gÄben."
"Worin?"
"In der Ebilebsie! - GÄbm S' amal scharf Obacht und merkens Ihna alles
genau! - Alsdann schaugens hÄr: Zuerscht macht me Speichel in der Goschen;"
- er blies die Backen auf und bewegte sie hin und her, wie jemand, der sich
den Mund ausspØlt - "dann kriegt me Schaum vorm Maul, sengen S' so": - er
machte auch dies. Mit widerwÄrtiger NatØrlichkeit. "Nachhe drehte ma die
Daumen in die Faust. - Nachhe kugelt me die Augen raus" - er schielte
entsetzlich - "und dann - das ise sich bisl schwÄr - stoñt me so halbeten
Schrei aus. Segen S', so: Bà - bà - bÃ, und gleichzeitig fallt me sich um."
Er lieñ sich der LÄnge nach zu Boden fallen, dañ das Haus zitterte, und
sagte beim Aufstehen:
"Das ise sich die natierliche Ebilebsie, wie's uns der Dr. Hulbert
gottsÄlig beim ›Bataljohn‹ gelernt hat."
"Ja, ja, es ist tÄuschend Ähnlich," gab ich zu, "aber wozu dient das
alles?"
"Weil Sie sich zuerscht aus der Zellen rausmissen!", erklÄrte der
schÃne Wenzel. "Der Dr. Rosenblatt is doch ein Mordsochs! Wenn einer schon
gar kan Kopf mehr hat, sagt der Rosenblatt immer noch: der Mann ise sich
pumperlgesund! - Nur vor die Ebilebsie hat e' an ViechsrÄschpÄkt. Wann aner
daas gut kann: gleich ise drieben in der Krankenzelle. - - Und da ise sich
das Ausbrechen dann ein Kinderspielzeug;" - er wurde tief geheimnisvoll -
"den Fenstergitter in der Krankenzelle ise nÄmlich durchgesÄgt und nur
schwach mit Dreck zusammengepappt. - Es ise sich das ein Geheimnis vom
Bataljohn! - Sie brauchen dann bloñ ein paar NÄchte scharf aufpassen und,
wenn Sie eine Seilschlingen vom Dach herunter bis vors Fenster kommen segen,
heben Sie leise den Gitter aus, damit niemand nicht aufwacht, steckens die
Schultern in die Schlinge, und mir ziegen Ihnen hinauf aufs Dach und lassen
Ihnen auf der andern Seiten hinunter auf die Strañen. - Pasta."
"Weshalb soll ich denn aus dem GefÄngnis ausbrechen?" wandte ich
schØchtern ein, "ich bin doch unschuldig."
"Das ise doch kein Grund, um nicht auszubrechen!", widerlegte mich der
schÃne Wenzel und machte vor Erstaunen kreisrunde Augen.
Ich muñte meine ganze Beredsamkeit aufbieten, um ihm den verwegenen
Plan, der, wie er sagte, das Resultat eines "Bataillons" beschlusses war,
auszureden.
Dañ ich "die Gabe Gottes" von der Hand wies und lieber warten wollte,
bis ich von selbst freikommen wØrde, war ihm unbegreiflich.
"Jedenfalls danke ich Ihnen und Ihren braven Kameraden auf das
allerherzlichste," sagte ich gerØhrt und drØckte ihm die Hand. "Wenn die
schwere Zeit fØr mich vorØber ist, wird es mein erstes sein, mich Ihnen
allen erkenntlich zu zeigen."
"Ise gar nicht nÄtig", lehnte Wenzel freundlich ab. "Wann Sie ein paar
Glas ›Pils‹ zahlen, nÄhmen wir sich dankbar an, abe sunst nix. Pan
Charousek, was ise jetz Schatzmistr vom Bataljohn hat e' uns schon erzÄhlt,
was Sie fØr ein heimlicher WohltÄter sin. Soll ich ihm was ausrichten, wenn
ich in paar TÄg wieder herauskomm?"
"Ja, bitte," fiel ich rasch ein, "sagen Sie ihm, er mÃchte zu Hillel
gehen und ihm mitteilen, ich hÄtte soviel Angst wegen der Gesundheit seiner
Tochter Mirjam. Herr Hillel solle sie nicht aus den Augen lassen. - Werden
Sie sich den Namen merken?: Hillel!"
"HirrÄl?"
"Nein: Hillel."
"HillÄr?"
"Nein: Hill-el."
Wenzel zerbrach sich fast die Zunge an dem fØr einen Tschechen
unmÃglichen Namen, aber schlieñlich bewÄltigte er ihn doch unter wilden
Grimassen.
"Und dann noch eins: Herr Charousek mÃge - ich lasse ihn herzlich drum
bitten - sich auch, soweit es in seiner Macht steht, der "vornehmen Dame" -
er weiñ schon, wer darunter zu verstehen ist - annehmen."
"Sie meinen sich wahrscheinlich die adlige Flietschen, die was da
Gspusi ghabt hat mit dem Niemetz - dem Dr. Sapoli? - No, die hat sich doch
scheiden lassen und ise mit dem Kind und dem Sapoli fØrt."
"Wissen Sie das bestimmt?"
Ich fØhlte meine Stimme zittern. So sehr ich mich um Angelinas willen
freute, - es krampfte mir doch das Herz zusammen.
Wieviel Sorge hatte ich ihretwegen getragen und jetzt - - - war ich
vergessen.
Vielleicht glaubte sie, ich sei wirklich ein RaubmÃrder.
Ein bitterer Geschmack stieg mir in die Kehle.
Der Schlot schien mit dem FeingefØhl, das verwahrlosten Menschen
seltsamerweise eigen ist bei allen Dingen, die sich um Liebe drehen, erraten
zu haben, wie mir zumute war, denn er blickte scheu weg und antwortete
nicht.
"Wissen Sie vielleicht auch, wie es Herrn Hillels Tochter, dem FrÄulein
Mirjam geht? Kennen Sie sie?", fragte ich gepreñt.
"Mirjam? Mirjam?" - Wenzel legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten -
"Mirjam? - GÄht sich die Ãfters in der Nacht zum Loisitschek?"
Ich muñte unwillkØrlich lÄcheln. "Nein. Ganz bestimmt nicht."
"Dann kenn ich sie nicht", sagte Wenzel trocken.
Wir schwiegen eine Weile.
Vielleicht steht in dem Briefchen etwas Øber sie, hoffte ich.
"Dañ den Wassertrum der Deiwel g'holt hat", fing Wenzel plÃtzlich
wieder an, "wÄrden Sie sich wohl schon gehÄrt haben?"
Ich fuhr entsetzt auf.
"No ja." - Wenzel deutete auf seine Kehle. - "Murxi, murxi! Ich sag ich
IhnÄn; es war IhnÄn schaislich. Wie sie den Laden aufgebrochen haben, weil
er sich paar TÄg nicht hat segen lassen, war ich natierlich der erschte
drin; - wie denn nicht! - Und da hat e' durten g'sÄssen, der Wassertrum, in
einem dreckigen LÄhnsessel, die Brust voller Blut und die Augen wie aus
Glas. - - - Wissen S', ich bin ich ein handfeste Kerl, aber mir hat sich
alles gedrÄht, sag ich IhnÄn, und ich hab' gemeint, ich hau ich ohnmÄchtig
hi-iin. Furt' a furt' hab' ich mir vorsagen missen: Wenzel, hab' ich mir
vorg'sagt, Wenzel, reg' dich nicht auf, es is doch bloñ ein toter Jud. - Er
hat eine Feile in der Kehle stecken gehabt und im Laden war sich alles
umedum geschmissen. - Ein Raubmord natierlich."
"Die Feile! Die Feile!" Ich fØhlte, wie mir der Atem kalt wurde vor
Grausen. Die Feile! So hatte sie also doch ihren Weg gefunden!
"Ich weiñ ich auch, wer's war", fuhr Wenzel nach einer Pause halblaut
fort. "Niemand anders, sag ich IhnÄn, als der blattersteppige Loiso. - Ich
hab' ich nÄmlich sein Taschenmesser auf dem Boden im Laden entdeckt und
rasch eing'stÄckt, damit sich die Polizei nicht draufkommt. - Er ise sich
durch einen unterirdischen Gang in den Laden - - -" er brach mit einem Ruck
seine Rede ab und horchte ein paar Sekunden lang angestrengt, dann warf er
sich auf die Pritsche und fing an, fØrchterlich zu schnarchen.
Gleich darauf klirrte das VorhÄngeschloñ und der GefÄngniswÄrter kam
herein und musterte mich argwÃhnisch.
Ich machte ein teilnahmsloses Gesicht und Wenzel war kaum zu erwecken.
Erst nach vielen PØffen richtete er sich gÄhnend auf und taumelte,
gefolgt von dem WÄrter, schlaftrunken hinaus.
Fiebernd vor Spannung faltete ich Charouseks Brief auseinander und las:
Den 12. Mai.
"Mein lieber armer Freund und WohltÄter!"
Woche um Woche habe ich gewartet, dañ Sie endlich freikommen wØrden, -
immer vergebens, - habe alle mÃglichen Schritte versucht, um
Entlastungsmaterial fØr Sie zu sammeln, aber ich fand keins.
Ich bat den Untersuchungsrichter, das Verfahren zu beschleunigen, aber
jedesmal hieñ es, er kÃnne nichts tun - es sei Sache der Staatsanwaltschaft
und nicht die seinige.
Amtsschimmel!
Eben erst, vor einer Stunde, gelang mir jedoch etwas, von dem ich mir
den besten Erfolg erhoffe: ich habe erfahren, dañ Jaromir dem Wassertrum
eine goldene Taschenuhr, die er nach der damaligen Verhaftung seines Bruders
Loisa in dessen Bett gefunden hatte, verkauft hat.
Beim ›Loisitschek‹, wo, wie Sie wissen, die Detektivs verkehren, geht
das GerØcht, man hÄtte die Uhr des angeblich ermordeten Zottmann - dessen
Leiche Øbrigens noch immer nicht entdeckt ist - als corpus delicti bei Ihnen
gefunden. Das Øbrige reimte ich mir zusammen: Wassertrum et cetera!
Ich habe mir Jaromir sofort vorgenommen, ihm 1000 fl gegeben - -" Ich
lieñ den Brief sinken, und die FreudentrÄnen traten mir in die Augen: nur
Angelina konnte Charousek die Summe gegeben haben. Weder Zwakh, noch Prokop,
noch Vrieslander besañen so viel Geld. Sie hatte mich also doch nicht
vergessen! - Ich las weiter:
"- 1000 fl gegeben und ihm weitere 2000 fl versprochen, wenn er mit mir
sofort zur Polizei ginge und eingestØnde, die Uhr seinem Bruder zu Hause
entwendet und verkauft zu haben.
Das alles kann aber erst geschehen, wenn dieser Brief durch Wenzel
bereits an Sie unterwegs ist. Die Zeit reicht nicht aus.
Aber seien Sie versichert: es wird geschehen. Heute noch. Ich bØrge
Ihnen dafØr.
Ich zweifle keinen Augenblick, dañ Loisa den Mord begangen hat und die
Uhr die Zottmanns ist.
Sollte sie es wider Erwarten nicht sein, - nun, dann weiñ Jaromir, was
er zu tun hat: - Jedenfalls wird er sie als die bei Ihnen gefundene
agnoszieren.
Also harren Sie aus und verzweifeln Sie nicht! Der Tag, wo Sie frei
sein werden, steht vielleicht bald bevor.
Ob trotzdem ein Tag kommen wird, wo wir uns wiedersehen?
Ich weiñ es nicht.
Fast mÃchte ich sagen: ich glaube es nicht, denn mit mir geht's rasch
zu Ende, und ich muñ auf der Hut sein, dañ mich die letzte Stunde nicht
Øberrascht.
Aber eins halten Sie fest: wir werden uns wiedersehen.
Wenn auch nicht in diesem Leben und nicht wie die Toten in jenem Leben,
aber an dem Tag, wo die Zeit zerbricht, - wo, wie es in der Bibel steht, der
HERR die ausspeien wird aus seinem Munde, die lau waren und weder kalt noch
warm. - - -
Wundern Sie sich nicht, dañ ich so rede! Ich habe nie mit Ihnen Øber
diese Dinge gesprochen und, als Sie einmal das Wort ›Kabbala‹ berØhrten, bin
ich Ihnen ausgewichen, aber - ich weiñ, was ich weiñ.
Vielleicht verstehen Sie, was ich meine, und wenn nicht, so streichen
Sie, ich bitte Sie darum, das, was ich gesagt habe, aus Ihrem GedÄchtnis. -
- Einmal, in meinen Delirien, glaubte ich - ein Zeichen auf Ihrer Brust zu
sehen. - Mag sein, dañ ich wach getrÄumt habe.
Nehmen Sie an, wenn Sie mich wirklich nicht verstehen sollten, dañ ich
gewisse Erkenntnisse gehabt habe - innerlich! - fast schon von Kindheit an,
die mich einen seltsamen Weg gefØhrt haben; - Erkenntnisse, die sich nicht
decken mit dem, was die Medizin lehrt oder Gott sei Dank noch nicht weiñ;
hoffentlich auch nie erfahren wird.
Aber ich habe mich nicht dumm machen lassen von der Wissenschaft, deren
hÃchstes Ziel es ist, einen - ›Wartesaal‹ auszustaffieren, den man am besten
niederrisse.
Doch genug davon.
Ich will Ihnen erzÄhlen, was sich inzwischen zugetragen hat:
Ende April war Wassertrum so weit, dañ meine Suggestion anfing zu
wirken.
Ich sah es daran, dañ er auf der Gasse bestÄndig gestikulierte und laut
mit sich selbst sprach.
So etwas ist ein sicheres Zeichen, dañ die Gedanken eines Menschen sich
zum Sturm rotten, um Øber ihren Herrn herzufallen.
Dann kaufte er sich ein Taschenbuch und machte sich Notizen.
Er schrieb!
Er schrieb! Dañ ich nicht lache! Er schrieb.
Und dann ging er zu einem Notar. Unten vor dem Hause wuñte ich, was er
oben machte: - er machte sein Testament.
Dañ er mich zum Erben einsetzte, habe ich mir allerdings nicht gedacht.
Ich hÄtte wahrscheinlich den Veitstanz bekommen vor VergnØgen, wenn's mir
eingefallen wÄre.
Er setzte mich zum Erben ein, weil ich der einzige auf der Erde bin, an
dem er noch etwas gutmachen kÃnnte, wie er glaubte. Das Gewissen hat ihn
Øberlistet.
Vielleicht war's auch die Hoffnung, ich wØrde ihn segnen, wenn ich mich
nach seinem Tode durch seine Huld plÃtzlich als MillionÄr sÄhe, und dadurch
den Fluch wettmachen, den er in Ihrem Zimmer aus meinem Mund hat mit anhÃren
mØssen.
Dreifach hat demnach meine Suggestion gewirkt.
Rasend witzig, dañ er heimlich also doch an eine Wiedervergeltung im
Jenseits geglaubt hat, wÄhrend er sich's das ganze Leben lang mØhselig
ausreden wollte.
Aber so ist's bei allen den Ganzgescheiten; man sieht es schon an der
wahnwitzigen Wut, in die sie geraten, wenn man's ihnen ins Gesicht sagt. Sie
fØhlen s